Golzows neue Kinder sind Syrer

Das rbb-Fernsehen zeigt eine Reportage über ein gelungenes Beispiel für Integration

Zu Beginn der Fernsehreportage »Golzows neue Kinder« sind zwei Mädchen und ein Junge zu sehen, die eine Straße entlanggehen, ein überfülltes Flüchtlingsschiff in schwerer See, und zwei Männer, die etwas sagen. Der eine Mann sagt: »Zuwanderung ist eigentlich immer eine Chance.« Der andere Mann schimpft: »Wir wollen auch mal Kinder haben. Wo sollen die denn hin? Sollen die später in Turnhallen leben, wenn die unsere Wohnungen besetzen.«

In den folgenden 30 Minuten klären sich die Zusammenhänge auf. Der »rbb« sendet die sehenswerte Reportage am kommenden Sonnabend um 18.32 Uhr. Ein Jahr lang haben die Reporter Michael Lietz und Markus Woller die Mädchen Nour und Kamala und den Jungen Burhan mit der Kamera begleitet, von der Einschulung bis zur Zeugnisausgabe.

Das erinnert an die Anfänge der großartigen Langzeitdokumentation »Die Kinder von Golzow«. Winfried und Barbara Junge drehten dazu 19 Filme. Es begann mit »Wenn ich erst zur Schule geh« (1961) und endete mit »Und wenn sie nicht gestorben sind - dann leben sie noch heute...« (2007). Was ursprünglich das Werden des neuen sozialistischen Menschen in der DDR am Beispiel eines Dorfes im Oderbruch zeigen sollte, wurde eine beeindruckende Sammlung von Lebensbildern mit einigen Brüchen und dem tiefen Einschnitt der Wende 1989.

»Golzows neue Kinder« schließt an diese Dokumentation an, ohne eine Fortsetzung zu sein. Andere Regisseure beginnen mit anderen Kindern von vorn. Auf die Ähnlichkeiten, aber auch auf die Unterschiede beider Projekte spielt der Titel sehr schön an. Die Reportage hätte ja auch »Die neuen Kinder von Golzow« heißen können, aber das wäre Etikettenschwindel gewesen. Lietz und Woller erzählen schließlich nicht davon, wie es etwa mit Onkel Willys oder Marieluises Enkeln weiterging. Wilfried und Barbara Junge und ihre Filmhelden werden mit keiner Silbe erwähnt.

Stattdessen geht es darum, dass in Golzow nur noch rund 800 Einwohner leben, ein Drittel weniger als zu DDR-Zeiten, und dass nur noch halb so viele Kinder die Dorfschule besuchen. Sie heißt heute offiziell Schule »Kinder von Golzow«. 2015 gibt es erstmals zu wenig Anmeldungen für die 1. Klasse. Wenn immer wieder keine 1. Klasse gebildet werden kann, droht die Schließung. Der Bürgermeister kommt auf eine Idee. Er bittet den Landkreis Märkisch-Oderland, ihm Flüchtlingsfamilien mit schulpflichtigen Kindern zu schicken. Freie Wohnungen seien vorhanden.

Das ist der Bürgermeister, der Zuwanderung als Chance begreift und daran erinnert, dass das Oderbruch sei einst nicht von den einheimischen Fischern trockengelegt und kultiviert wurde, sondern von Zugezogenen. Es kommen jetzt Nour, Kamala und Burhan mit ihren Eltern und Geschwistern. Sie stammen aus Syrien. Eine der beiden Familien ist mit dem Schiff geflohen, das bedrohlich auf den Wellen schaukelte. Es sind Aufnahmen der griechischen Küstenwache, die in die Reportage hineingeschnitten sind.

Die Syrer haben es zunächst nicht leicht in Golzow. Ihre Zukunft ist ungewiss. Sie sprechen nicht die Sprache der Nachbarn. Sie können in der Gegend keine Zutaten für arabische Gerichte kaufen. Die Eltern haben keine Beschäftigung, langweilen sich, streiten. Doch mit der Zeit wird alles besser. Deutschkurse beginnen, Freunde werden gefunden, ein Kleingarten wird übernommen und einmal im Monat geht es zum Großeinkauf in Geschäfte in Berlin-Neukölln. Hier in der Sonnenallee können sie sich arabisch verständigen und die Kopftücher aussuchen, auf die die beiden muslimischen Mütter nicht verzichten möchten. Sie wollen trotzdem nicht nach Berlin ziehen. Auf dem Dorf sei es schöner für die Kinder, begründen sie dies. Die Kinder werden von ihren Klassenkameraden von der Vorfreude auf das Weihnachten angesteckt und dagegen haben die Eltern nichts einzuwenden. Die Kinder lernen fleißig, besonders in Mathematik zeichnen sich die Mädchen aus, und was sie sagen, muss am Ende des Schuljahres für die Reportage nicht mehr übersetzt werden. Sie reden nun Deutsch.

Doch ganz reibungslos hat das alles nicht geklappt. Im Herbst gab es Pläne, in der Turnhalle des Ortes 100 syrische Männer unterzubringen. Es gibt eine Bürgerversammlung, bei der es heiß hergeht. Das ist die Szene, in der der eine Mann zu Beginn des Films so fürchterlich schimpft. Da ergreift eine der syrischen Mütter das Wort. Sie spricht davon, dankbar zu sein, dass sie hier so freundlich aufgenommen wurde. Sie weiß aber auch, dass nicht alle sie mögen. Sie weint. Sie sagt, sie habe selbst Angst davor, was passiert, wenn 100 junge Männer kommen. Es gibt Beifall. Die Situation entkrampft sich, bleibt aber verwirrend. Bestimmt haben auch einige applaudiert, die generell gegen Ausländer sind. Für die 100 syrischen Männer findet sich eine andere Lösung. Die Turnhalle bleibt offen für den Schulsport - und damit auch für Kamala, Nour und Burhan.

Ein Happy End mit einer Träne im Auge. Denn die Eltern sehnen sich nach ihrer Heimat. Wenn in Syrien doch endlich Frieden wäre, dann möchten sie dorthin zurück.

Am Donnerstagabend sollte es in Golzow, im Filmmuseum der »Kinder von Golzow« eine Voraufführung der rbb-Reportage geben. Winfried und Barbara Junge wollten hinfahren und sich das anschauen, wie Winfried Junge dem »nd« sagte.

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