Berghain und Blumenwiese

Gudrun Gut, die Grande Dame der Berliner Musikszene, stellt Techno aus alten Volksliedern her

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaltes klares Wasser / Über meine Hände / Über meine Arme / Über mein Gesicht / Ich mache meine Augen zu.« Eines der größten Verdienste der Komponistin, Musikproduzentin, DJ und Musikerin Gudrun Gut, die seit den frühen 80er Jahren maßgeblich die Entwicklung der in Berlin entstehenden Musik mitgeprägt hat, dürfte es sein, mit ihrer famosen und bis heute unvergessenen Gruppe Malaria (bzw. »Malaria!«, wie die korrekte Schreibweise lautet) einst den wunderbaren Evergreen »Kaltes klares Wasser« miterschaffen zu haben, der, so ist zu mutmaßen, wohl einen Dusch- bzw. Waschvorgang als genussvolles Erlebnis beschreibt und der einen sehr zwingenden Rhythmus hat, dem man sich nur sehr schwer entziehen kann. Ich jedenfalls fange schon an zu zappeln, wenn ich nur an das Lied denke. Oder an dessen später, nämlich in den 90er Jahren, entstandene Version der auch sehr guten und überaus empfehlenswerten Popgruppe Chicks On Speed, die in ihrem Remix den sehr zwingenden Rhythmus des Stücks noch zwingender gemacht hat.

Mit zwingenden Rhythmen, damit, wie man sie herstellt, und allem, was damit zusammenhängt, kennt Gudrun Gut, die »Grande Dame des Berliner Undergrounds« (Deutschlandfunk), sich aus. Das weiß man ja. Auf ihrer neuen CD remixt sie nun acht »Heimatlieder aus Deutschland«, worunter traditionelles Liedgut zu verstehen ist, das Einwanderer, die hierhergekommen sind, aus ihrem jeweiligen Herkunftsland mit nach Deutschland gebracht haben. »Eingewandertes neues deutsches Liedgut« wird das dann genannt: ein alevitisches Volkslied einer Augsburger Gruppe ist darunter, ein Folksong aus Siebenbürgen (»Ein kleines Wildvögelein«) oder einer aus Kamerun.

Gut hat also etwa aus Versatzstücken eines alten maghrebinischen Begrüßungslieds oder einem portugiesischen Fado unterkühlt-hypnotische Tech-House-Stampfer oder Dub-Techno-Klopper gebastelt.

Auf einer zweiten CD, die Guts »Vogelremixen« erfreulicherweise beigegeben ist, kann man die den Remixen zugrundeliegenden Originale der Künstler und Bands hören, die in Berlin und Augsburg zuhause sind. Das ist rundum schön: Tradition und Moderne, Volkslied und Disco, das Ländliche und das Urbane, Maschinenhalle und Ziegenstall, Berghain und Blumenwiese - alles im direkten Vergleich, auf zwei CDs. Gut will ihre musikalische Intervention im Übrigen durchaus auch als politischen Akt verstanden wissen, als Bekenntnis zu Austausch und Vielfalt, als Feier des Hybriden und Widerspruch gegen die dumpfdeutsche Gemütslage im ideellen Gesamtheimatverein Deutschland.

Wobei die Vielfalt ja auch das Konzept von Guts eigener kleiner Plattenfirma ist: Auf ihrem grandiosen und offenbar im internationalen Ausland weit mehr als hierzulande geschätzten Label Monika Enterprise veröffentlicht die Künstlerin nebenher seit Jahren kleine Pop-Perlen, etwa solche von der Berliner Songwriterin Masha Qrella oder so unterschiedlichen Gruppen wie den eher sanftmütig-verträumt klingenden Quarks oder dem eher nach Auffahrunfall klingenden Duo Cobra Killer, von dem man aber leider schon länger nichts mehr gehört hat.

Gudrun Gut: »Vogelmixe« (Run United/H’art Music)

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