nd-aktuell.de / 15.09.2016 / Politik / Seite 1

Juncker enttäuscht bei Rede zur Lage der EU

EU-Kommissionspräsident ohne mitreißende Visionen bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt

Kay Wagner, Brüssel

Die Erwartungen waren hoch. Nichts weniger als einen »Ruck« für die EU erhofften sich viele von der »Rede zur Lage der Union«, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch im Straßburger Europaparlament halten sollte. Auch Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) wies auf die »ungeheure mediale Aufmerksamkeit« hin, »die wir heute im Haus erleben«.

Dann kam Juncker - und enttäuschte. Der 61-jährige Politiker aus Luxemburg, der schon so viele politische Schlachten geschlagen hat, ein ausgebuffter, mit allen Wassern gewaschener Politiker. Ein durch und durch überzeugter Europäer. Aber ein alter Europäer. Zu alt für die EU, um ihr am Mittwoch die Impulse zu geben, auf die viele gehofft hatten. Schleppend war seine Sprache. Langsam und bedächtig kamen die Worte aus seinem Mund. Worte, die oft an altbekannte, längst abgedroschene Phrasen erinnerten. Dass Europa für Frieden stehe, auf Gemeinsamkeiten aufbaue, aber auch durch seine Vielfalt lebe. Durch den Brexit in seinem Bestand nicht gefährdet sei. Grundlegendes, was alles stimmt, aber keine konkreten Lösungen für die aktuellen Probleme liefert. Auch keine Visionen.

Stattdessen kamen Rechtfertigungen für die aktuelle EU-Politik, vor allem der Kommission. Und Ankündigungen von Maßnahmen, mit denen die Krise überwunden werden soll. Aufstockung des Investitionsplans für Europa, Schaffung eines Milliardenfonds für Afrika, Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit. Ein Plädoyer, das man bei mehr körperlichem Engagement als flammend hätte bezeichnen können, für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee zur Sicherung der Außengrenzen. Und vieles mehr. Aber kaum ein Wort zur Flüchtlingskrise. Nichts zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit. Keine konstruktiven Vorschläge, wie die EU auf die zunehmenden Rufe nach stärkeren Nationalstaaten wirkungsvoll reagieren könnte.

Einmal fiel das Wort Terrorismus, einmal sprach Juncker von einem Europa, das sozial bleiben muss. Vertieft wurden die Gedanken nicht. Ebenfalls nicht weiter begründet, warum CETA »das beste Handelsabkommen« sei, das die EU jemals abgeschlossen habe. Und warum Nachbesserungen nicht angesagt seien.

Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen schien die Rede dennoch gut gefallen zu haben. »Das war eine Rede auf hohem Niveau«, lobte Gianni Pittella, Fraktionschef der europäischen Sozialisten, Junckers Äußerungen. Bei Politikern anderer Parteien klang Kritik an - zum Teil deutlich, aber auch unterschiedlich. »Wir glauben, dass weniger Europa manchmal mehr sein kann«, sagte Syed Kamall, Fraktionssprecher der konservativen EKR. Und der LINKEN-Europaabgeordnete Fabio De Masi kam zu dem Fazit: »Der alte, müde Mann Juncker ist ein Symbol für die schlechte Verfassung der EU.«