Verhaltensökonomik und Nudging

Smarte Worte 6: Wie wir in der digitalen Welt immer wieder in die »richtige Richtung« gestupst werden - und wie das subtil unser Handeln beeinflusst

  • Lesedauer: 3 Min.

Behavioural Economy oder zu deutsch »Verhaltensökonomik« ist der Versuch, menschliches Verhalten in wirtschaftlichen Situationen zu erklären. Dafür wird das Verhalten des Menschen als rational, also stets gewollt und begründet angenommen. Dieser Rational-Choice-Theorie zufolge versuchen Individuen in sozialen Situationen ihren Nutzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu optimieren, also bei einem möglichst geringen Einsatz einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.

Weil dieses statische Modell unrealistisch ist, sprechen neuere Theorien den Menschen die Fähigkeit zu, ihre Situation zu verändern um so bessere, zu ihren Vorstellungen passendere Ergebnissen zu erzielen. Sie versuchen also ihren Handlungsrahmen zu verändern und spekulieren dabei auf eine bessere Zukunft. Die aus der Summe dieser individuellen Spiele hervorgehende Gesellschaft muss aber wiederum nicht rational sein, sondern kann aus vielfältigen Gründen wiederum abträgliche Folgen für alle Beteiligten haben.

Der Begriff Nudging beschreibt nun den Versuch gemäß solcher Theorien eine staatliche oder betriebliche Handhabe für die Gestaltung von Gesellschaften und Gemeinschaften zu entwickeln. Individuen sollen durch kleine »Stupse« (engl. Nudge) zur erwünschten Handlung mit größerem Nutzen für das Gemeinwohl gebracht werden. Der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein und der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler haben den Nudge-Begriff in ihrem Buch »Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt« (2008) geprägt: Ihnen zufolge können zum Beispiel staatliche Institutionen den Rahmen verändern, in dem Individuen Entscheidungen treffen.

Und zwar nicht durch ökonomische Anreize, Zwang oder Verbote, sondern durch subtile Eingriffe: Das erwünschte Verhalten wird erleichtert, nahe gelegt oder das unerwünschte Verhalten erschwert. Weil dabei auch immer das unerwünschte Verhalten möglich bleibt, sprechen die Autoren von einem libertären Paternalismus: Man muss nicht, man soll. Ein Beispiel für so einen Nudge sind Organspende-Regelungen, bei denen das erwünschte Verhalten »Organe spenden« vorausgesetzt wird und das unerwünschte Verhalten einen extra Handlungsschritt bedarf: »Ich will kein Organspender sein!« Beide Handlungsalternativen bleiben, theoretisch, offen. Laut Thaler sei dies ein dritter Weg zwischen völliger, unregulierter Freiheit und staatlicher Planwirtschaft.

Besondere Möglichkeiten ergeben sich durch die Verhaltensökonomik und Nudging in der digitalen Gesellschaft. Hier sind soziale Kontexte und Verhaltensrahmen oft besonders gut beeinflussbar - und überwachbar. Allein durch die Gestaltung von Benutzeroberflächen kann so ein erwünschtes Verhalten unterstützt werden. Wird dies gegen die Interessen der Nutzer versucht, spricht man von Dark Patterns: ein Design, das schädliches Verhalten unterstützt, indem zum Beispiel Alternativen verschleiert werden oder gewohnte Handlungsmuster in einem anderen Kontext präsentiert werden, wo sie etwa zum Abschluss eines Abonnements führen.

Die Identifikation von besonders wirksamen Nudges kann wiederum durch die Auswertung massiv erfasster Verhaltensdaten verbessert werden: Der Staat, die Organisation, versucht ein möglichst passendes Modell individuellen Verhaltens zu erstellen, um es dann zu verändern. Je weiter die Digitalisierung des Alltags voranschreitet, desto mehr Möglichkeiten zur noch subtileren Gestaltung der Handlungsrahmen durch Nudges ergeben sich. Weil Nudges auch einen Verlust von Autonomie bedeuten können, wenn sie nicht transparent sind oder keine wirklichen Alternativen offen lassen, werden sie kontrovers diskutiert. Zumal, wenn sie in vielen Lebensbereichen angewendet werden: Aus dem Nicht-müssen-aber-Sollen, also aus individuellen Entscheidung moralischen Charakters kann so ein neuer Zwang entstehen. Oft genug in die richtige Richtung gestupst, verschließen sich andere, richtige, frei gewählte Richtungen. (fk)

Zum Weiterlesen:

David Cameron »The Next Age of Government« (Video)
Holm Friebe und Mads Pankow über Nudge (Video)
Buch-Rezension von Thomas C. Leonard

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