Sellering setzt auf »Weiter so« mit der CDU

SPD wird mit den Christdemokraten über Koalition verhandeln / Linkspartei: »Mecklenburg-Vorpommern wird auf Reise in die Vergangenheit« geschickt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Wirklich überraschend kam diese Entscheidung nicht, dennoch wird sie noch einige Debatten nach sich ziehen: Knapp zwei Wochen nach der Landtagswahl im Nordosten und nicht einmal zweit Tage vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin hat die SPD in Mecklenburg-Vorpommern entschieden, die bisherige Koalition mit den Christdemokraten fortsetzen zu wollen. Beobachter hatten diese Variante bereits im Vorfeld für die wahrscheinlichste gehalten, die Gremien der SPD meldeten nun gewissermaßen Vollzug. Die Entscheidung fiel mit großer Mehrheit bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Aber klar war auch: Es geht weniger um eine Wahl der Gesamtpartei, sondern um das Votum von Ministerpräsident Erwin Sellering. Der NDR hatte es so formuliert. »Allein der Regierungschef wird entscheiden.«

Sellering sagte am Freitagabend, die SPD habe auch mit der Linkspartei »gute Gespräche« geführt. Seine Absage bedauere er »ein bisschen, aber es konnte nur einer sein«. Das ist höflich formuliert, ließ aber die Verärgerung der Linkspartei nicht geringer ausfallen. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte mit Blick auf den absehbaren Regierungswechsel in Berlin, Sellering werde in Schwerin »die letzte rot-schwarze Regierung auf Landesebene führen«. Er habe »sich für die Vergangenheit entschieden«. Sein »Kurs halten« bedeute ein »langweiliges ›Weiter so‹«, was Schade für Mecklenburg-Vorpommern sei. Auch die Landesvorsitzende Heidrun Bluhm sprach von einer »Reise in die Vergangenheit«, auf die das Bundesland mit einer Großen Koalition geschickt werde. Sellering habe zudem »die Zeichen« der Landtagswahl »nicht verstanden«. Er scheue »in der Landespolitik neue Wege zu gehen, um für die Menschen Verbesserungen zu erreichen«.

Spitzenkandidat Helmut Holter reagierte mit den Worten, »die SPD hat sich für die Bequemlichkeit entschieden, dafür, weiter zu verwalten, anstatt die Zukunft aktiv zu gestalten«. Der Parlamentsgeschäftsführer im Landtag, Peter Ritter, kritisierte, »mit der Sellering-SPD ist eine andere Politik nicht möglich«. Es sei falsch, mit einem »Weiter so« das bekämpfen zu wollen, was das »Weiter so« hervorgebracht hat.

Gemeint ist: Die Große Koalition selbst ist mit für den Aufstieg der AfD, für Frustration der Wähler und für den verbreiteten Eindruck verantwortlich, »die da oben« würden ja doch nichts im Interesse der Mehrheit ändern. Der frühere Linksfraktionschef Gregor Gysi formulierte es so: »Die SPD setzt die rot-schwarze Koalition in Mecklenburg-Vorpommern fort. Herr Sellering hat sich entschieden, weiterhin gemeinsam mit der CDU an Stimmen zu verlieren. Außerdem hat er sich entschieden, die AfD zu stärken.«

Das sieht der CDU-Landesvorsitzende und bisherige Landesinnenminister Lorenz Caffier anders. Er äußerte Zufriedenheit über die Koalitionseinladung der SPD und kündigte an, seinem Landesvorstand auf einer Sondersitzung am Samstag zu empfehlen, darauf einzugehen. Es gibt keinen Zweifel, dass dies auch geschieht. SPD und CDU regieren in Schwerin seit zehn Jahren zusammen. Die Linkspartei, die bei den Landtagswahlen Boden verloren hatte, hätte mit der SPD eine knappe rot-rote Mehrheit gehabt. Sie war im Nordosten als PDS bereits von 1998 bis 2006 an einer Landesregierung mit der SPD beteiligt.

Eine Mehrheit von einer Stimme galt freilich nicht nur vielen Sozialdemokraten als zu knapp. Beobachter waren zudem davon ausgegangen, dass sich Sellering auch deshalb für die CDU entschieden habe, weil »die Linke in den Verhandlungen relativ forsch aufgetreten« sei, wie es der NDR formulierte. »Das hat dem Regierungschef möglicherweise nicht geschmeckt.« Linken-Landeschefin Bluhm sagte, man habe »in den Sondierungen hart für unsere politischen Ziele gerungen, um für die Menschen eine bessere, sozialere und demokratischere Zukunft« zu erreichen. »Vielleicht ist das ja der wirkliche Grund« für die Absage der Sozialdemokraten.

Dass sich die SPD unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin für die CDU ausspricht, lässt natürlich aufmerken. In der Hauptstadt ist ein rot-rot-grünes Bündnis eine der zumindest rechnerisch wahrscheinlichen Optionen für die kommende Landesregierung. Die Entscheidung der Nordost-SPD sendet - ob gewollt oder nicht - ein Signal nach Berlin: Die SPD sucht lieber die CDU als Partner für Mitte-Rechts und geht einem Neuanfang Mitte-Links aus dem Weg. Das ist offenbar gewollt, denn der Fahrplan der Regierungsbildung in Mecklenburg-Vorpommern sieht lediglich vor, dass spätestens Anfang November laut Landesverfassung die neue Regierung stehen muss. Bis Ende Oktober müssten die Koalitionsgespräche abgeschlossen sein - genug Zeit also. Und vor dem Montag nach der Berlin-Wahl passiert in Mecklenburg-Vorpommern ohnehin nichts mehr: Den Zeitplan der Gespräche will man am Montag beraten, so Sellering.

Inhaltlich wird es in den Verhandlungen von SPD und CDU unter anderem um den Arbeitsmarkt, die Unterstützung von Familien sowie die Ost-West-Rentenangleichung gehen, die allerdings eine Bundesangelegenheit ist. Auch bei der Frage, was man für die ländlichen Räume tun könne, habe es Annäherung gegeben. Bei der Landtagswahl vor knapp zwei Wochen hatte die SPD 30,6 Prozent der Stimmen erreicht. Die CDU kam auf 19,0 und die Linkspartei auf 13,2 Prozent. Alle drei Parteien mussten damit deutliche Verluste hinnehmen. Wahlgewinner war die Rechtsaußenpartei AfD mit 20,8 Prozent, die nun die größte Oppositionsfraktion im Landtag stellt. mit Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal