Der Kampf um die Decken

Rebellierende Straßenhändler fordern Barcelonas linksalternative Regierung heraus

  • Julia Macher
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Bild hätte symbolischer nicht sein können: Ende Juli weihte Barcelonas linksalternative Bürgermeisterin Ada Colau am Stadtstrand Barceloneta den »comptador de la vergonya« ein, eine Anzeigentafel mit der Anzahl der Menschen, die in diesem Jahr bei der Flucht übers Mittelmeer ertranken. Begleitet wurde die Zeremonie von wütenden Protesten eben jener Menschen, denen die Flucht übers Meer zwar gelungen ist, die in ihrer neuen Heimat aber extrem unter Polizeiverfolgung und Marginalisierung leiden.

Barcelonas Straßenhändler, wegen der Decken, auf denen sie Souvenirs, Brillen, Handtaschen, Sporttrikots anbieten, kurz »Manteros« genannt, schimpften Colau eine Heuchlerin. Unter den Demonstranten war auch Aziz Fayé: »Die neue Stadtverwaltung hat den Mund sehr voll genommen, aber tatsächlich hat sich am Rassismus der Institutionen nichts geändert.« Der Senegalese hat gemeinsam mit anderen Straßenhändlern im Oktober 2015 das »Sindicat Popular de Vendedors Ambulants« gegründet, die erste Basisgewerkschaft von etwa 400 barcelonischen Straßenhändlern.

Die Vereinigung will den Straßenhandel entkriminalisieren. In Videos erklärt sie, dass man nicht für dubiose Hintermänner arbeite, sondern die Ware legal auf eigene Rechnung beim chinesischen Großhändler kaufe. »Die meisten von uns haben keine Papiere, da ist der Straßenverkauf unsere einzige Einnahmequelle«, sagt Fayé, der wie viele seiner Kollegen aus dem Senegal stammt. 2007 hatte er von der afrikanischen Küste mit dem Boot auf die Kanarischen Inseln übergesetzt.

Nachdem im letzten Sommer ein Straßenhändler bei einer Wohnungsdurchsuchung im Ferienort Salou unter ungeklärten Umständen starb, ist das Sindicat auch der Versuch, über die polizeiliche Repression aufzuklären. Die Behörden werfen den Manteros vor, keine Verkaufsgenehmigung einzuholen, gegen die Straßenordnung und das Markenrecht zu verstoßen. »Die Polizei wartet manchmal vor den U-Bahn-Eingängen auf uns. Als Verdachtsmoment reicht es, wenn du als schwarzer Mann ein Bündel auf dem Rücken trägst«, klagt Fayé.

Aufgrund der vielen Sozialaktivisten in den eigenen Reihen war Colaus Bündnis »Barcelona en Comú« für diese Problematik zwar sensibilisiert, sah sich aber bei Regierungsantritt vom komplexen Kräfteverhältnis in der Stadt überfordert. Man suchte das Gespräch mit den Manteros, rief einen Runden Tisch ins Leben, der jedoch rasch am Boykott des Einzelhandels scheiterte. Diskutiert und verworfen wurde die Errichtung eines eigenen Areals für die Straßenhändler.

Parallel dazu gingen die Einsätze der städtischen Polizei Guardia Urbana weiter, immer wieder kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die teils – so sieht es das Unterstützerkollektiv Tras la Manta – bewusst von der Polizei provoziert worden waren. Colaus Bündnis »Barcelona en Comú« hatte im Wahlkampf grundlegende Reformen und die Auflösung eines Sonderkommandos der städtischen Polizei angekündigt.

Albert Sales, einer der städtischen Manteros-Beauftragten, will über mögliche Hintergründe nicht spekulieren, sondern ordnet das Problem in den globalen Kontext ein. »Der informelle Straßenverkauf ist Folge der spanischen Ausländergesetze und des dysfunktionalen Arbeitsmarktes«, sagt der Politologe. Als Kommune könne man daran nur bedingt etwas ändern.

Nach zähen Verhandlungen hat die Stadt 40 Umschulungsplätze organisiert und im Spätsommer mit dem Aufbau einer Kooperative begonnen, die weiteren 15 Menschen ein Auskommen sichern soll. 800 000 Euro hat man dafür bereitgestellt, derzeit läuft der Auswahlprozess. »Ein geschlagenes Jahr mussten wir warten, bis das Programm anläuft – und es sind immer noch viel zu wenig Plätze«, kritisiert Fayé. »Was sollen denn diejenigen machen, die nicht ausgewählt wurden? Von was sollen die denn leben?« Für ihn hat Colaus Stadtregierung ihre Glaubwürdigkeit verspielt.

Zur touristischen Hochsaison erstreckte sich der informelle Straßenbasar über mehrere Hundert Meter entlang der Hafenpromenade. Die konservative Opposition entdeckte darin eine willkommene Gelegenheit, die Podemos-nahe Stadtregierung zu destabilisieren. Wochenlang beherrschte das Thema die Schlagzeilen, Barcelonas starke Mittelstandsvereinigung PIMEC rief zu Protesten auf. Der Sozialaktivistin Colau und ihrem Team warfen sie Untätigkeit vor. Die Verwaltung, jetzt gewaltig unter Druck, schloss jedoch eine gewaltsame Räumung von Verkaufsflächen aus. Stattdessen entschied sie, das Hafengelände durch einen Skatepark zu blockieren. Von einem Tag auf den anderen ließ sie am Hafen Rampen und Halfpipes errichten.

Das Sindicat Popular wurde zwar über die Maßnahme informiert, aber nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. »Als große Gruppe waren wir am Hafen relativ geschützt, aber seitdem arbeiten wir wieder so wie früher«, sagt Fayé, »immer auf der Hut vor der Polizei.«

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