«Bitte seid gütig zueinander»

Ethan Hawke: «Regeln für einen Ritter» - in historischem Gewand ist Heutiges versteckt

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Was war das Klügste, das du König Heinrich V. jemals hast sagen hören?‹, fragte ich. In jenen frühen Tagen konnte ich gar nicht aufhören, Fragen zu stellen. ›Bescheidener Fortschritt.‹ Antwortete er. ›Was soll das heißen?‹. ›Als ich den großen König zum letzten Mal gesehen habe, war ich erst sechzehn, und er sagte zu mir: Ich wünsche dir bescheidenen Fortschritt.‹ ›Das verstehe ich nicht.‹ ›Ich habe es auch nicht verstanden.‹ Großvater zwinkerte.«

Heinrich V.? Schlagen wir nach. Von 1413 bis 1422 war er König von England und hat sofort nach seiner Thronbesteigung mit einer Versöhnungspolitik begonnen, die indes nicht so friedensstiftend war, wie er hoffte. Es gab Verschwörungen gegen ihn und nach deren Aufdeckung auch Hinrichtungen. Gegen die Adelsstreitigkeiten im eigenen Land sollte ein äußerer Feind helfen. Verhandlungen mit dem langjährigen Kriegsgegner Frankreich wurden zum Scheitern gebracht, und 1419 stand das englische Heer vor den Toren von Paris. Heinrich V. sah sich nun seinem Ziel nahe, Frankreich und England zu vereinen. Aber es gab immer noch französischen Widerstand, und die Not in den Reihen der Engländer war groß. 1422 ist Heinrich V. - war er wirklich so verantwortungsbewusst und moralisch stark wie in Shakespeares gleichnamigem Drama? - im Wald von Vincennes bei Paris an der Ruhr verstorben.

Sir Thomas Lemuel Hawke, auf den sich der Hollywoodstar Ethan Hawke (an die 60 Filme als Schauspieler und Regisseur, inzwischen auch als Autor bekannt) in seinem neuen Buch bezieht, soll 1483 in der Schlacht von Slaughter Bridge gefallen sein. Sein Großvater, bei dem er in die Lehre ging, hat Heinrich V. noch gekannt. - Aber lassen wir das Graben in ferner Geschichte. Dafür ist dieses Buch nicht gemacht.

»Regeln für einen Ritter« kommt in historischem Gewand einher, weil es aus dem Heute heraus so nicht geschrieben werden könnte, geht es doch um überkommene Tugenden und Werte, die einer herrschenden Raubtierordnung entgegengesetzt werden. Oder sollte man das nicht so hart sagen? Niemand bestreitet die Bedeutung von Dankbarkeit, Zusammenarbeit, Freundschaft, Vergebung, Geduld, Großzügigkeit, Disziplin, aber eine so geballte Moralpredigt wie diese macht sich wohl besser, wenn ein Ritter sie in einem Brief an seine vier Kinder hinterlässt.

Denn ein Ritter ist von vornherein in starker Position. Außerdem hat jeder schon mal von ritterlichen Tugenden gehört. Die Beschäftigung mit dem Mittelalter ist Mode in Unterhaltungsliteratur und -film.

Wobei das Buch, so der Autor, durchaus in Überlegungen zur Erziehung der eigenen Kinder seine Wurzeln hatte. Unter dem probaten Vorwand, ein altes Manuskript gefunden zu haben, wollte er einen Ratgeber für Eltern und für all jene schreiben, die sich von fremden Lebensweisheiten eigene Bestärkung erhoffen.

Manchen Kritikern dürfte es womöglich gefallen, das Resultat kunstvoll in der Luft zu zerreißen - banale Wahrheiten, ein Nachklang der New-Age-Bewegung. Der Missmut wird umso größer, wenn man sich von den Forderungen (es sind ja Forderungen!) persönlich behelligt fühlt, aus schlechter Erfahrung empfindlich auf Belehrungen reagiert oder an einen Punkt gelangt ist, jegliche moralische Normsetzung als verlogen anzusehen.

Leute, die sich das Buch kaufen, werden jedoch Freude an diesen kleinen Geschichten haben, die der Autor geschickt zu Parabeln formte, auch wenn deren Aussagen nicht neu sind. Stück für Stück gelesen, können sie wie Samenkörner sein, aus denen bei jedem Leser womöglich etwas anderes wächst. Der eine stimmt dem Autor zu, der andere wird aus seiner Erfahrung etwas entgegenhalten, ein dritter ist erleichtert, weil ausgesprochen wird, was ihn schon lange umtrieb, ein vierter womöglich bedrückt, weil auf etwas hingewiesen wird, was er versäumte.

»Alles, was Licht spendet, muss das Brennen der Flamme ertragen.« Wohl wahr.

»Glück ist ein Nebenprodukt der Planung.« - Ich weiß, dass ich weniger planen sollte.

»Bitte seid gütig zueinander.« Ja, unbestreitbar, ein Lebenssinn.

Ethan Hawke: Regeln für einen Ritter. Aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze. Illustrationen Ryan Hawke. Kiepenheuer & Witsch. 192 S., Leinen, 12 €.

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