Aller Probleme Anfang

Flüchtlinge protestieren erneut gegen die Unterbringung in Massenunterkünften

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

53 Männer stehen mit großen Schildern in der Hand aufgereiht am Rand des Bürgersteigs entlang einer Turnhalle. In der zur Notunterkunft umfunktionierten Sporthalle der Hochschule für Technik und Wirtschaft leben seit zehn Monaten rund 200 Männer. Im August hätten sie umziehen sollen, in ein neues Tempohome in der Zossener Straße in Hellersdorf. Doch der Zeitpunkt wurde immer wieder verschoben.

»Das hier ist eine Notunterkunft. Zwei bis drei Tage kann man hier leben, vielleicht auch zwei bis drei Wochen. Aber die meisten von uns sind schon seit zehn Monaten hier«, sagt Ahmad Basha. »Man kann hier nicht leben.« Der 23-Jährige kommt aus Syrien, wie die meisten seiner Mitbewohner. »Wir haben hier null Privatsphäre.«

Leben in Massenunterkünften

- Aktuell leben laut Senatsverwaltung für Soziales 37 879 Flüchtlinge in Unterkünften, 4 640 von ihnen in 42 Turnhallen. Die hätten bis zum Sommer freigezogen worden sein. Doch es geht nur langsam voran.

- Durch die angespannte Situation in Massenunterkünften kommt es dort immer wieder zu Gewalt. In der Nacht zu Donnerstag haben laut Polizei rund 50 Flüchtlinge in einer Unterkunft in Reinickendorf Sicherheitsleute angegriffen. Zwischen Bewohnern und Wachpersonal soll es schon länger Spannungen gegeben haben. Nach einem möglichen Missbrauchsfall in einer Unterkunft in Moabit forderte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, einheitliche Standards. »Im Moment hängt es vom Zufall oder Engagement einzelner Menschen ab, ob Kinder und Jugendliche in Unterkünften sicher sind oder nicht«, sagte Rörig. jot

Ein Mitdemonstrant bittet Basha und ein paar andere, zurück an den Rand des Bürgersteigs zu treten. Die Kundgebung ist »natürlich« angemeldet, sagt Basha, man wolle keinen Ärger machen. Die Polizei ist vor Ort, und die Bewohner der Unterkunft sorgen dafür, dass Fußgänger ungehindert an ihnen vorbei spazieren können - ihre Botschaften aber hoffentlich mitnehmen.

»Viele Menschen glauben immer noch, wir würden hier gratis Kost und Logis bekommen und es uns gutgehen lassen. Die wissen aber gar nicht, wie wir hier leben«, sagt Ahmad Alt auf Englisch, der ebenfalls in der Notunterkunft lebt.

Drinnen fällt zunächst ein Durcheinander an bunten Bettlaken auf. Dahinter verstecken sich Doppelstockbetten. Die Laken bieten ein wenig Privatsphäre. Gegen Schnarchen, lautes Telefonieren oder Musikhören helfen sie nicht. »Wenn wir die ganze Nacht nicht schlafen können, wie sollen wir Deutsch lernen, wie sollen wir wach genug für unseren Termin in der Ausländerbehörde sein«, fragt Alt. »Wenn wir nicht arbeiten dürfen und Steuern zahlen, wie sollen wir uns integrieren? Das hier«, sagt er und zeigt um sich, »ist der Beginn all unserer Probleme.«

Heimleiter Christoph Wiedemann kennt den Ärger der Bewohner. Er unterstützt ihren Protest, sagt er, auch wenn der sich teils gegen ihn und die SozDia-Stiftung als Betreiberin der Unterkunft richtet. »Wir leben in der ständigen Ungewissheit, wie lange es hier noch weiter geht«, sagt er. Dass der Umzug seitens des Senats ständig verschoben wird, bedeutet für Wiedemann auch: keine Planungssicherheit. Das sei einer der Gründe, warum es keine Trennwände gebe. Auch über einen Catererwechsel könne man in der unsicheren Situation nicht nachdenken, sagt Wiedemann, der weiß, dass sich die Bewohner auch über das Essen beschweren. »Zehn Monate das gleiche Essen, da ist Unzufriedenheit absehbar.« Die Bewohner wollen die zehn Euro, die pro Person und Tag an den Caterer gehen, am liebsten bar auf die Hand bekommen, um sich selbst mit Essen zu versorgen. Auch, weil ihr Tagesablauf, Deutschkurse, Termine beim Flüchtlingsamt, ihnen nicht immer Zeit für das Essen in der Unterkunft gibt. Wiedemann hält das für sinnvoll, das Flüchtlingsamt erlaubt es jedoch nicht. Nun soll es im Oktober in die Zossener Straße gehen, ob dort Platz für alle Bewohner ist, ist allerdings unsicher.

»Die Berliner fordern von den Geflüchteten, sich möglichst schnell zu integrieren, aber eine feste Unterkunft, die ihnen dabei hilft, gibt es oft nicht«, sagt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin. »Wir brauchen mehr Gemeinschaftsunterkünfte mit Privatsphäre, abschließbaren Räumen, mit Kochmöglichkeiten. Das ist das mindeste.«

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