Hamlet in Heidenheim

Im Kino: »Auf einmal« von Aslı Özge

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Einmal singt ein Totengräber, und der Held verweilt lauschend am leeren Grab. Dass dieser Karsten (Sebastian Hülk) - blond, backenbärtig, Sohn einer Kleinstadtgröße (gespielt, wie das so ist, wenn im deutschen Film Übervaterfiguren gebraucht werden, von Hanns Zischler) - ein moderner Hamlet-Verschnitt sein soll, war da bereits klar. Denn noch bevor der Film beginnt, der diesen Karsten-Hamlet in eine Intrige aus Lust, Tod, Misstrauen und Klatsch verwickeln wird, sieht sich der Zuschauer auf schwarzer Leinwand mit einem einschlägigen Shakespeare-Zitat konfrontiert.

Böse wird etwas erst, heißt es da in etwa, durch die Gedanken, die sich einer dazu macht. Und wenn nicht böse, dann zumindest kleingeistig ist nun tatsächlich das scheinheilige Geraune, das Karsten entgegenschlägt - verhalten erst, dann immer offener, nachdem auf einer stark beschwipsten Party in seiner Wohnung (und in Abwesenheit seiner Lebensgefährtin) der letzte Gast spät in der Nacht mit dem Leichenwagen geholt wird.

Ein weiblicher Gast, jung, hübsch und traurig - und Karsten wie den Gästen völlig unbekannt. Eine Party-Crasherin, eine Frau mit Mann und Kind, die auf dem Balkon stehen bleibt, als die anderen Gäste gehen, ihrem Gastgeber schöne Augen macht und also - was? Selbstmord begehen wollte? Krank war? Oder warum: in der selben Nacht noch starb? Ein blöder Unfall, vielleicht, jedenfalls ein Ungemach, das in das wohlgeordnete (und von alkoholträchtigen Partys abgesehen offenbar recht ereignislose) Alltagsleben in dieser deutschen Kleinstadt nicht recht passt.

Vielleicht kann man die Hinterbliebenen abfinden, damit nicht noch der Schatten einer Klage auf Karsten und seine Familie fällt? Nein, die mögen zwar aus Russland stammen, aber mit schnödem Geld wollen sie sich nicht zufriedengeben. Das sagt der Familienanwalt, der Karsten duzt und vom Alter her ein Schulfreund sein könnte. Also wird der Königssohn dieser modernen, bürgerlichen Zeiten nicht mehr nur bei der Polizei, sondern nun auch vor Gericht aussagen müssen, was in jener Nacht geschah. In dieser Kleinstadt in bergigem Flusstal, eingepfercht von allen Seiten, reicht das zur Vorverurteilung.

Asthma, Alkohol und Medikamenteneinwirkung haben die Tote umgebracht, wird sich vor Gericht erweisen. Aber weil der moderne Hamlet erst kopflos nach einem Arzt suchen lief, statt einfach mal den Krankenwagen zu rufen, ist er jetzt möglicherweise wegen unterlassener Hilfeleistung dran. Aber schließlich war die ganze Runde angetrunken, dazu kam wohl noch die Angst um den guten Ruf der Familie und das schlechte Gewissen wegen der Küsse, die er mit der Fremden bereits getauscht hatte.

Er muss also vor Gericht erscheinen - und darf bei der Bank plötzlich nur noch im Hinterzimmer arbeiten, weil Kundenverkehr in so einer Lage doch für ihn, sprich: für die Bank, unschön wäre. Er verliert die Freundin (Julia Jentsch), die ihm genauso wenig wie die anderen glaubt, dass er mit der Toten nicht schon was hatte, bevor die seine Party crashen kam. Und er fühlt sich auch sonst sehr fremd in der altvertrauten Enge. Das ist nun Karstens Los.

Faul ist hier definitiv etwas, ganz wie im Staate Dänemark - nicht zuletzt am wenig altersgerechten Verhalten dieses Hamlet, der die Fünfunddreißig überschritten haben dürfte, aber immer noch reagiert, als könne er seine Umwelt nicht ganz einordnen. Unter deutscher Flagge hoch über über dem Tal, ein Wanderer, wird er zum Fluch ansetzen gegen seine Umwelt - und sich dann anschicken, ihr heimzuzahlen, was sie mit ihm machte. Es ist ein bitterer Sieg, wenn der neuerdings zynische Karsten sein Schicksal am Ende in die eigene Hand nimmt. Nach zwei Stunden folgt dieser »Triumph« auf die ersten, verwirrenden Bilder vom Ende einer Party.

Man weiß nicht genau, ob Aslı Özge, die das Buch schrieb, Regie führte, produzierte und auch am Schnitt beteiligt war, den Hamlet in die deutsche Kleinstadt versetzte, weil sie fand, da passe er gut hin. Oder ob sie eine globale Geschichte von Kleingeisterei und Heuchelei erzählen wollte, die überall hätte spielen können. »Auf einmal« ist, nach »Men on the Bridge« und »Lifelong«, ihr dritter Film. Und der erste, der nicht in der Türkei spielt.

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