In streitbarer Einigkeit

Mit der Konzertreihe »Utopie Streichquartett« feiert das Sonar Quartett sein zehnjähriges Bestehen

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

»Utopie Streichquartett«, so die Überschrift, die das Sonar Quartett wählte, um auf seine neue Konzertreihe und seine junge Geschichte aufmerksam zu machen. Seinerzeit unter dem Namen DASZ Quartett angetreten, genuin ostdeutsch besetzt, erspielten sich die jungen Musikerinnen und Musiker schon bald eine Qualität, die Kennerkreise nicht nur in Berlin aufhorchen ließ. Stets wichtig für dieses Ensemble war der Dialog mit lebenden Komponisten. Vorerst jenen aus dem Osten, die es ohnehin schwer hatten mit Aufführungsgelegenheiten. Neben älteren Werken brachte es neuere und ganz neue zu Gehör, von Georg Katzer, Friedrich Schenker, Helmut Zapf, Paul-Heinz Dittrich, Friedrich Goldmann und anderen Komponisten. Es musizierte auch Streichquintette und zog als Kontrabassisten zumeist Matthias Bauer hinzu.

2006 gründete es sich neu, sein Name nun Sonar Quartett, und trat deutsch-deutsch besetzt in Erscheinung: mit der in Thüringen geborenen Susanne Zapf als Primageigerin, dem Hamburger Geiger Gregor Derck, dem aus Bayern kommenden Bratschisten Nikolaus Schlierf und der Berliner Cellistin Cosima Gerhardt. Vier Musiker in streitbarer Einigkeit, debattierend, probend, interpretierend auf gleicher Augenhöhe. Welch ein Modell!

Unter dem neuen Label spielte die Gruppe weiterhin vorzugsweise Neue Musik, also solche, deren Wert um so höher zu veranschlagen ist, je mehr der allgemeinen Kultur Teile ihres Rückgrats entfernt werden. Bis heute liegt der Akzent auf Kompositionen und Spielweisen des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Vier - inzwischen ist an die Stelle von Gregor Derck der Pole Wojciech Garbowski gerückt, er ist der Primarius - konzipieren selbstredend ihre Programme selbst. Sie sind viel unterwegs und treten nicht selten auf internationalen Festivals wie etwa »Ultraschall« in Berlin auf. Das musikalische, technische Niveau der Formation ist bestechend.

Feiern, das kann das Sonar Quartett allemal, ohne in den nationalistischen Spuk des Einheitstages einzustimmen. An jenem 3. Oktober beging es sein Jubiläum mit zwei Konzerten im Studio der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Die Akademie gehört erfreulicherweise zu den Förderern des Projekts. Auf dem Programm: Teil I einer Konzertserie, die mit drei weiteren Projekten bis März 2017 laufen soll.

Was Besseres, als wenn ein intimes Kammerkonzert mit Arnold Schönberg anhebt und die aufmerksame Zuhörergemeinde von seiner Musik hingerissen ist? Das 2. Streichquartett des Meister mit dem wilden, kapriziösen, die Ohren erheiternden zweiten Satz und der Gesangstimme im dritten und im Finalsatz (Virpi Räisänen, Sopran) kam so edel, sinnlich packend und technisch rasant zu Gehör, dass man gern alle vier Quartette Schönbergs gehört hätte.

Dann Umzug. Rein in die dunkle rechte Ecke, damit Platz ist für vier Tänzer, eine junge Dame darunter. Sydney Corbetts »Fractured Eden« ist eigentlich kein Tanzstück. Das pausendurchsetzte, wenige Höhepunkte ausmusizierende Stück kann allemal ohne Bewegung gehört werden. Die Tanzcrew agierte völlig selbstständig. Allem Anschein nach erzählte sie bewegungsintensive Geschichten von Flüchtlingen. Was an Gliedern zu beugen und an Eckigkeiten bis in die Fingerspitzen darzustellen ging, suchten die Körper umzusetzen. Der rumänische Choreograf Sergiu Mais, Mitakteur, ragte heraus.

Eine interdisziplinäre Diskussion mit Matthias Hansen, Christian Grüny, Jörg Manika und Moderator Rainer Nonnenmann im Foyer des Studios schloss sich dem an. Thema: »Utopie Streichquartett«. Sie war je weniger ergiebig, je mehr um den Begriff Utopie herumgeredet wurde und niemand sich hergab, den Begriff in der Bedeutung für sich persönlich zu umschreiben. Ernst Blochs »Geist der Utopie« - Utopie als Vorschein, als ein Noch-Nicht hin zum Besseren - wurde nur kurz angerissen.

Unerhört lebendig der zweite Teil des Abends. Echte Entdeckung William Engelens Stück »Falten«. Hier gibt es Anfänge und Enden der originellsten Art. Die vier Spieler fangen fast die ganze Zeit über nicht gleichzeitig an, was zu merkwürdigen asynchronen Stoppklängen führt, und sie enden auch nicht zeitgleich. Eine Synchronität ergibt sich erst im Schluss mit schwebend choralartig-harmonischen Zusammenklängen, weg von den zahllosen Girlanden, welche die Spieler mit ihren Instrumenten zuvor gemalt hatten. Exzellent aufgeführt auch das witzige, das wütend-komische Peitschengeräusch in die Quartett-Musik einführende »Gandr« von Matthias Bauer.

Mit »Aleatorio« von Altmeister Franco Evangelist kam das kürzeste Stück des Abends (vier Minuten) und das seriellste. Nach der blitzgescheiten Wiedergabe von Lutoslawskis aleatorisch inspiriertem »Streichquartett« mit periodisch eingerückten Oktavkapriolen sprengte freie Improvisation den zuvor glücklich intimen Rahmen. Das Sonar Quartett musizierte mit Michael Wertmüller am Schlagzeug und dem Pianisten und Trompeter Dieter Ammann. In Stereoaufteilung und perupathetischen Gängen (die Musiker wandern) finales Chaos. Die akustische Krönung zum Einheitstag.

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