nd-aktuell.de / 15.10.2016 / Kultur / Seite 20

Das Gesicht der Vereinten Nationen

Auf dem katholischen Sozialisten António Guterres lasten viele Hoffnungen.

Ralf Streck

Im portugiesischen Donas können es die Einwohner noch immer kaum glauben, dass mit António Manuel de Oliveira Guterres einer aus ihrem Dorf nun Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) ist. Nachdem im Weltsicherheitsrat praktisch Einstimmigkeit herrschte, war die Bestätigung durch die UN-Generalversammlung am Donnerstag reine Formsache. Und in Donas wird eifrig gewerkelt, um der großen Ehre einen neuen Ausdruck zu geben.

Zwar wurde der 67-Jährige nicht in dem Dorf mit knapp 900 Einwohnern nahe der Bezirkshauptstadt Fundão geboren, sondern am 30. April 1949 in der Hauptstadt Lissabon; doch das ficht hier niemanden an. Schließlich wuchs der neue UN-Generalsekretär am Rand der Berge der »Sierra de la Gardunha« im Nordosten der Zentrumsregion auf. Und der in zweiter Ehe verheiratete Vater von zwei Kindern hat einiges dazu beigetragen, dass die abgelegene arme Gegend nahe der spanischen Grenze besser an die portugiesischen Metropolen angebunden und entwickelt wurde.

Schon bisher war der Sozialist, der von 1995 bis 2002 auch das Land regiert hat, der bekannteste Dorfbewohner. Deshalb unterhielt man längst im Obergeschoss des Bürgermeisteramts ein »Museum«, das seinen Namen trug. Das hält man hier im Distrikt »Castelo Branco« (Weiße Festung), aus dem er 1976 als Parlamentarier ins Lissaboner Parlament einzog, nun nicht mehr für angemessen. Die Exponate werden gereinigt und verpackt. Mit der neuen Aufwertung von »Toni«, wie ihn seine Freunde nennen, zieht das Museum in ein neues Gebäude um. Das erklärt ein überwältigter Bürgermeister allen, die es wissen wollen. Und Manuel Trinidad fügt an: »Wir werden es einweihen, wenn António Guterres ins Dorf kommen kann.« Das werde sehr bald sein, hofft er.

Schließlich hat der »bescheidene Ingenieur« dort noch immer ein Haus. Das liegt aber nicht in der nach ihm benannten Allee, sondern in der San-Roque-Straße nahe der Kirche. Dort geht der gläubige Katholik bei Besuchen noch immer zur Messe. Toni, so erklären die Bewohner stolz, sei immer ein normaler Bewohner geblieben. Sein Freund José Moreiras streicht heraus, dass der studierte Elektroingenieur und Humanist »sehr intelligent und sehr ernst« sei. Schon bevor er in die Schule kam, habe er lesen und schreiben können, erinnert sich der Dorfschmied.

In seiner Heimat glauben sie ihm, wenn er im Zusammenhang mit seinem neuen Amt von »Bescheidenheit angesichts der schwierigen Aufgaben« spricht. Er wolle »den Verletzlichsten dienen, den Opfern von Kriegen, des Terrors und von Menschenrechtsverstößen«. Denn sein Werdegang sei von frühester Kindheit an vom Drang nach sozialer Gerechtigkeit und vom Einsatz für die Schwächsten geprägt gewesen.

Guterres weiß, was Armut bedeutet. Er ist er in einer armen Region im ärmsten Land der EU aufgewachsen. In seiner Kindheit liefen in Donas Kinder mit blutigen Füßen durchs Dorf. Er habe seine betuchteren Eltern gedrängt, ihnen Schuhe zu kaufen, bestätigen Nachbarn. Seinen sozialen Einsatz setzte er nach dem Umzug der Familie ins ferne Lissabon fort. Als Student war er in sozialen und politischen Projekten im Armengürtel der Hauptstadt in einer Gruppe aktiv, der auch der heutige Staatschef Marcelo Rebelo de Sousa angehörte.

Zunächst schloss er sich der Katholischen Universitären Jugend an. 1973 dann, ein Jahr bevor die Diktatur durch die Nelkenrevolution friedlich gestürzt wurde, trat er der kurz zuvor im deutschen Bad Münstereifel gegründeten Sozialistischen Partei (PS) bei. Von 1992 bis 2002 war er deren Chef und trat schließlich als Konsequenz aus schlechten Kommunalwahlergebnissen auch als Regierungschef zurück.

Sozialist und Christ zu sein, das vereint er bis heute - auch wenn er bisweilen in arge Widersprüche gerät, wie die Debatte um ein modernes Abtreibungsrecht zeigte. Als Regierungschef sprach sich der Katholik dagegen aus, weshalb die Frauen seines Landes bis 2007 warten mussten, um auch in der Heimat legal eine Schwangerschaft abbrechen zu können. Die christliche Lehre habe ihm ein »Grundmuster an Werten« vermittelt und der Sozialismus eine »politische Vision der Welt und den Willen einzugreifen«, meint Guterres.

Nach seinem Abtritt als Partei- und Regierungschef betrat er ganz die internationale Bühne, auf der er schon als Präsident der Sozialistischen Internationale bis 2005 aktiv war. In diesem Jahr wurde er Hoher UN-Flüchtlingskommissar, womit er viel Erfahrung für seinen neuen Posten sammeln konnte. Da er schon erfolgreich das Kommissariat verschlankt hat, werden hohe Reformerwartungen in den Mann gesetzt, der als »Macher« gilt.

Er will nun humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit besser koordinieren und betont die »Zentralität der Prävention«, um Konflikte, Flüchtlingsströme und teure Blauhelmeinsätze einzudämmen. Da er über Charme und diplomatisches Geschick verfügt, wird ihm auch einiges in der drängenden Flüchtlingsfrage zugetraut.

Selten war man sich in den Vereinten Nationen zuletzt so einig wie in der Einschätzung, dass der Portugiese der beste unter allen Bewerberinnen und Bewerbern um den wichtigsten UN-Posten war.