»Nachbarschaft ist ...

Kathrin Gerlof über den Egoismus der deutschen Provinzkönige, besonders aber den des bayerischen

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

... eine Gewaltressource erster Ordnung.« Jan Philipp Reemtsma hat das mal in der Zeitschrift »Mittelweg 36« des Hamburger Instituts für Sozialforschung auf einen richtigen Punkt gebracht. Nachbarn schauen zuallererst danach, ob ihnen jemand über den Zaun geschissen oder vor die Haustür gepinkelt hat oder gar aufs Dach gestiegen ist. Erst danach überlegen sie, dass es vielleicht nett wäre, ein bisschen nett zu sein. So betrachtet, muss und darf man von 16 Bundesländern, die alle zu Deutschland gehören, aber doch kleine Königreiche sind, nicht allzu viel erwarten. Nachbarn halt.

Beim nun ausgehandelten Finanzausgleich weiß der Mensch nicht, ob er sich ein bisschen freuen soll, weil der Finanzminister Schäuble ganz schön eins reingewürgt bekommen hat, oder ob er es lieber lässt mit dem Freuen, weil die Länder und ihre Chefs (so werden die Ministerpräsidenten und -innen in den Zeitungen immer genannt: Länderchefs) mal wieder bewiesen haben, dass ihnen das Hemd näher ist als die Hose und der jeweilige Nachbar ein bisschen am Allerwertesten vorbei geht.

Seehofer, dieser schlimmste aller Länderchefs, brüstet sich denn auch: »Ich habe den wichtigsten Erfolg für Bayern in meiner gesamten Laufbahn erzielt.« Auf die gesamte Laufbahn Horst Seehofers könnte Deutschland gern verzichten; geht aber nicht, der Mann ist einer von uns. Reinrassig sozusagen.

Bayern und sein Länderchef also werden künftig 1,35 Milliarden Euro weniger in den Ausgleichstopf zahlen. Insgesamt sind die Zeiten überhaupt gut für Seehofer und Konsorten. Der Bundesrat hat die Erbschaftsteuerregelung durchgewinkt - eine Entscheidung, die unter anderem bezahlt wurde von der Stiftung Familienunternehmen, die sich ihre Lobbyarbeit einiges hat kosten lassen. Hat sich aber auch gelohnt, muss man sagen. Sogar Kretschmann findet die neue Regelung gut und stimmte dafür. Aber das soll nur ein kleines Zwischenspiel gewesen sein.

Gar nicht in die Medien hat es ein kleiner Kollateralschaden des nun beschlossenen Länderfinanzausgleichs zugunsten Bayerns geschafft. Der CSU und ihren willigen Helfern ist es auch gelungen, den Ländern eine zusätzliche Kompetenz zuzuschustern, wenn es um die Betreuung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen - vor allem aber von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen - geht. Ziel ist (so, jetzt bitte erst drei Mal raten, bevor Sie weiterlesen): Kosten einsparen. Kostenerwägungen spielen eine große Rolle, wenn es um das Wohl der Kinder geht, auch wenn die sich manchmal schlecht in Heller und Pfennig aufrechnen lassen.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind echt eine Last. Die bekommen Jugendhilfe (Gott, ist das teuer) und sind nicht mal reinen Blutes. Die haben oft keine Eltern, weil die tot sind oder in irgendeinem Flüchtlingscamp hocken oder in der Armutsfalle sitzen und nicht rauskommen. Es gibt also niemanden, der so richtig für sie sorgen kann, deshalb liegen sie uns auf der Tasche und deshalb freut sich die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, dass nun ein Ländervorbehalt möglich ist.

Also nehmen wir mal an, so ein unbegleitetes minderjähriges Flüchtlingsmädchen hat drei Jahre gebraucht, um nach Deutschland zu fliehen (da passieren Sachen auf einer Flucht, die halten wirklich sehr auf). Und dann kommt dieses Mädchen in ein Bundesland, wo Leute sitzen, die das mit dem Ländervorbehalt ernst nehmen. Eltern sind tot - aber weiß man, ob dieses Mädchen die Wahrheit sagt? Traumatisiert ist sie - das kann aber auch gespielt sein. Ihr Alter wird in einem dubiosen medizinischen Verfahren geschätzt und schnell ist das Mädchen offiziell 18. Geht es nach Gerda Hasselfeldt wäre dann Schluss mit lustig, heißt Jugendhilfe. Deutsche Mädchen hätten es besser, weil da bis zum 21. Lebensjahr ein Anspruch auf Unterstützung besteht.

Ländervorbehalt. Ein sehr, sehr schönes Wort. Und ein Hoch auf die Bayern.

Aber der liebe Gott sieht alles.

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