nd-aktuell.de / 20.10.2016 / Gesund leben / Seite 10

Tausende Todesfälle durch Klinikkeime

Neue Untersuchung stellt für Europa 2,5 Millionen Infektionen durch Krankenhauskeime fest, 90 000 Patienten sterben

Berlin. In Europa sterben nach einer neuen Studie mehr als 90 000 Patienten pro Jahr an Krankenhausinfektionen. Die Forscher gehen von über 2,5 Millionen Infektionen aus, die sich Patienten in einer Klinik zuzogen. Sie hatten in die Studie sechs häufige Krankenhausinfektionen aufgenommen dazu zählen Lungenentzündungen, Sepsis (Blutvergiftung) sowie Harnwegs- und Wundinfektionen, wie die Forscher im Fachblatt »Plos Medicine« berichten.

Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen an der Berliner Charité, schätzt für Deutschland die Zahl der Krankenhausinfektionen pro Jahr auf rund 500 000. Dadurch kommt es geschätzt zu bis zu 15 000 Todesfällen. Ein Drittel der Krankenhausinfektionen gilt als vermeidbar - zum Beispiel durch bessere Hygiene.

Die Forscher um Alessandro Cassini vom Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) erhoben 2011/12 in 30 europäischen Ländern Zahlen von 510 Millionen Einwohnern. Dabei flossen die sechs häufigsten Infektionen in die Auswertung ein.

Auch Deutschland lieferte seine Zahlen zu. Als Basis für die Europa-Auswertung dienten am Ende die Daten von rund 274 000 Patienten in rund 1150 Akutkrankenhäusern. Nicht berücksichtigt wurden andere Einrichtungen wie zum Beispiel Reha-Zentren. Bei den Hochrechnungen wurden Krankenhausinfektionen, die durch multiresistente Erreger ausgelöst wurden, bewusst nicht separat ausgewiesen. Sie sind in die Gesamtzahl eingeflossen. In der Studie seien 85 bis 90 Prozent der in den 30 Ländern vorkommenden Krankenhausinfektionen erfasst worden, sagt Expertin Gastmeier.

Eine solche Infektion bekommt ein Patient in einer Klinik. »Am ersten und zweiten Tag in einer Klinik sind es in der Regel mitgebrachte Infektionen, ab Tag drei gilt es als Krankenhausinfektion«, sagt Gastmeier. Das heiße aber nicht, dass ab dem dritten Tag automatisch Klinikmitarbeiter die Schuld daran trügen. Denn die Gründe für diese Infektionen sind vielfältig. Klinik-Patienten benötigen oft invasive Untersuchungen oder Therapien: Sie bekommen zum Beispiel Katheter gelegt oder werden an Beatmungsgeräte angeschlossen. »Das alles sind Eintrittsschienen für Erreger in den Körper«, sagt Gastmeier. Oft seien es gar keine fremde Keime aus der Umgebung. »Jeder von uns schleppt Billionen Bakterien mit sich herum«, erläutert die Hygieneärztin. »Zum Beispiel auf unserer Haut oder im Darm - und die dringen dann in den Körper ein.« Je länger ein Katheter liege, desto größer sei das Risiko dafür.

In Deutschland bekommen rund 3,5 Prozent der Patienten auf Allgemeinstationen eine Krankenhausinfektion, 15 Prozent auf Intensivstationen. Die Zahlen werden sich nach Meinung Gastmeiers künftig kaum ändern. Zwar haben viele Kliniken die Händehygiene verbessert und es gibt mehr geschultes Personal. »Doch die Patienten werden immer älter und kränker und damit noch anfälliger für Infektionen«, berichtet sie.

Es gibt noch zwei gegenläufige Entwicklungen: Durch Schlüsselloch-Chirurgie ist das Infektionsrisiko heute bei Operationen geringer als früher. Doch auf der anderen Seite steige die Zahl der invasiven Maßnahmen, sagt Gastmeier. So würde oft nicht mehr nur ein zentraler Venenkatheter gelegt, sondern mehrere. Und bei jeder Eintrittsstelle in den Körper haben Keime Chancen.

Zwischen 1000 und 4000 Todesfälle gehen in Deutschland pro Jahr auf das Konto multiresistenter Erreger. Viele Patienten bringen sie bereits mit - und es obliegt dem Management der Kliniken dafür zu sorgen, dass sich andere Patienten nicht infizieren. Bei der Umsetzung habe sich viel getan, sagt Gastmeier - bis hin zu gezielten Präventionsprogrammen bei Risikogruppen.

Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Infektionen sieht Gastmeier vor allem bei der Antibiotika-Verordnung. Es sollten möglichst keine Breitspektrum-Präparate verordnet werden. dpa/nd