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Amateure im Rausch

Fußball-Viertligist FC Astoria Walldorf wirft Darmstadt 98 sensationell aus dem DFB-Pokal und fordert schon den nächsten Profiklub heraus

  • Ulrike John, Walldorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Trainer Matthias Born unterbrach grinsend das Interview und legte seinen Arm um Nico Hillenbrand: »Darf ich Ihnen den Rekordtorschützen des FC Astoria Walldorf im DFB-Pokal vorstellen?« Das Erfolgsduo der Nordbadener hatte gut lachen. Der noch einzige verbliebene Viertligist im Wettbewerb blamierte nach seinem Erstrundenerfolg gegen den VfL Bochum auch den SV Darmstadt 98 und warf den Bundesligisten am Mittwochabend mit 1:0 (1:0) aus dem Wettbewerb. Im Achtelfinale fordert Walldorf nun Anfang Februar Arminia Bielefeld. »Bielefeld spielt 2. Bundesliga und ist der klare Favorit, aber wir werden alles geben, um vielleicht noch eine Runde weiter zu kommen«, kommentierte Born die Auslosung.

Überraschend war nicht nur das Ergebnis des Duells zwischen dem 13. der Regionalliga Südwest und dem 13. der Bundesliga, sondern die Art, wie es zustande kam: Die flinken Walldorfer zeigten sich spielerisch mindestens gleichwertig, hatten sogar die bessere Raumaufteilung. Was da bei den »Lilien« schiefgelaufen ist? »Dämliche Frage!«, schimpfte der aufgebrachte Sportdirektor Holger Fach. »Das hat doch jeder gesehen: Walldorf war von der ersten bis zur letzten Minute die bessere Mannschaft.«

Das Weiterkommen wird der Amateurmannschaft nun mit mehr als einer halben Million Euro versüßt. Der FC Astoria nagt allerdings nicht gerade am Hungertuch: Der Klub wird schließlich von SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp unterstützt, auch wenn der Milliardär in erster Linie Mäzen des großen Nachbarn 1899 Hoffenheim ist. Darmstadt 98, so etwas wie die arme Kirchenmaus im Oberhaus, hätte die Extrasumme gerne eingestrichen. »Wir haben gerade für den Verein ganz, ganz viel Geld verloren«, schimpfte Fach.

Nico Hillenbrand hatte in der 32. Minute einen starken Spielzug der Walldorfer zum 1:0 vollendet. »Wir haben uns in einen Rausch gespielt und hätten den Sack sogar früher zumachen können«, sagte der Siegtorschütze. Der 29-Jährige ist die personifizierte Erklärung dafür, warum sich die Großen im Pokal oft so schwer tun gegen Vereine wie Walldorf oder die Sportfreunde Lotte. »Die Jungs bei uns haben alle eine gute Ausbildung genossen. Im Endeffekt kicken die schon ihr Leben lang«, sagte Astorias Trainer Born. Und dennoch: »Einige sind Studenten, andere Auszubildende, andere haben normale Jobs.« Hillenbrand wurde bei Borussia Dortmund ausgebildet, bestritt 2008 sein einziges Bundesligaspiel. Über den SV Sandhausen kam er nach Walldorf, lernte in Hopps Golfclub den Beruf des Bürokaufmanns. »Ich hab’ eine Frau und zwei Kinder. Der Job war dann sicherer«, erklärte er.

»In der Regionalliga wird auch noch auf recht hohem Niveau gespielt«, sagte Hillenbrand. Das hatte Darmstadts erfahrener Cheftrainer Norbert Meier gewusst und seine Mannschaft ausdrücklich vor den spielstarken Amateuren aus dem 15 000-Einwohner-Ort gewarnt. »Ich habe gedacht, ich bleibe davor verschont, so ein Spiel zu verlieren«, sagte er und zuckte resigniert die Schulter: »Wir hätten heute zehn Stunden spielen können und hätten das Tor nicht gemacht.«

Walldorfs Kapitän Timo Kern konnte gar nicht genug bekommen von dem Glücksgefühl nach der Sensation. »Morgen muss ich wieder in die Uni. Das ist echt traurig«, meinte er lachend. dpa/nd

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