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Digitalisierung der Arbeit: Wir wollen sie doch auch

Wenn die Dienststelle im Netz statt an der Werkbank liegt, muss die Arbeitswelt neu organisiert werden. Das birgt auch Chancen für die Beschäftigten

  • Sebastian Haak, Jena
  • Lesedauer: 4 Min.

Arbeiter, die ständig auf Abruf sind und weder Feierabend noch Ferien kennen; Angestellte, deren Aufenthaltsort permanent überwacht wird; mittelwichtige Manager, deren Job demnächst ein Algorithmus macht – düstere Szenarien gehören dazu, wenn es darum geht, dass ein immer größerer Teil der Arbeitswelt im digitalen Raum stattfindet. An einem Ort also, der selbst keinen Ort hat. Für den es egal ist, ob draußen die Sonne scheint oder der Mond hoch am Himmel steht. Und in dem der Einzelne zwar auch viele Freunde finden kann, sie aber doch nie von Angesicht zu Angesicht sieht und so auch ziemlich allein sein kann. Deshalb fehlten solche Szenarien auch an diesem Freitag in Jena nicht, wo Nachwuchswissenschaftler aus ganz Deutschland bei einer Konferenz ausloteten, was mit der Mitbestimmung von Beschäftigten in der Arbeitswelt passiert, wenn ihr Arbeitsort in Zukunft eher das Netz als das Büro oder die Werkbank ist. – all das freilich tauchte in den Vorträgen der Wissenschaftler auf.

Allerdings machten gleich mehrere von ihnen auch deutlich, wie falsch es wäre, davon auszugehen, dass sich solche Prozesse nicht irgendwie steuern ließen, dass die im Wirtschaftsgefüge schwächeren Männer und Frauen der Digitalisierung einfach so ausgeliefert wären; dass mehr Netz im Arbeitsleben immer weniger Einfluss für Beschäftigte – oder die, die das de facto sind, auch wenn sie anders genannt werden – bedeutet. Das ist nicht selbstverständlich. Und dass es in Jena zur Sprache kam, mag auch daran liegen, dass viele der Redner digital natives. Sie haben einen anderen Blick auf das Web als Menschen, die das erste Mal einen Tablet-Computer in der Hand hatten, als ihre Kinder längst aus dem Haus waren.

Mit dem Datenschutz zum Beispiel, sagt der Berliner Soziologe Daniel Seidel, sei das so eine Sache. Einerseits: Dass mit Hilfe neuer Technik über Beschäftigte immer mehr Daten gesammelt würden, sei ein Problem. Vor allem dann, wenn Betriebsräte das nicht wüssten. Aber nicht, weil ihnen das verheimlich worden sei. Sondern weil sie die Technik nicht verstünden. Wie in diesem einen Unternehmen, von dem Seidel erzählt, in dem der Betriebsrat Keycards zum Öffnen von Türen zustimmte. Den Betriebsräten war nicht klar, dass damit jedes Öffnen und Schließen der Türen protokollierbar wurde. Selbst, wie oft Mitarbeiter die Personaltoilette benutzten, ließ sich so schließlich nachvollziehen. Wissen über die Digitalisierung, schlussfolgert Seidel deshalb, sei für Betriebsräte entscheidend, wenn sie Arbeitnehmerinteressen vertreten wollten.

Andererseits sagt Seidel aber auch, derartige, neue Probleme könnten ein Punkt sein, an dem Betriebsräte ansetzen könnten, um sich Einfluss in Unternehmen zu erstreiten. Erst zum Datenschutz und dann zu vielen anderen Bereichen der Arbeitswelt. Um so mehr, da Seidel auf etwas hinweist, das auch andere Vortragende wiederholten: Die Themenfelder, die mit der Digitalisierung der Arbeitswelt wichtig für die Beschäftigten werden, sind bereits da. Häufig gibt es für die Fragen sogar schon Regularien. Diese müssen nur aktualisiert werden. »Die Themen, die da aufkommen, sind die alten. Sie müssen aber neu gefasst werden«, formuliert das Maike Pricelius, die am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitet. Es geht um Arbeitszeit, Entlohnung, Urlaub, Reisekosten – Themen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht.

Und der Mensch muss die Digitalisierung der Arbeitswelt auch wollen, sonst kommt sie nicht. Dazu gehört, wie der Berliner Philosoph und Politikwissenschaftler Adrian Mengay sagt, dass aufgrund der bestehenden Regularien im deutschen Arbeitsrecht eigentlich jeder Betriebsrat die Digitalisierung in seinem Unternehmen verhindern könnte. Jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat nicht konfliktscheu sei.

Die Diskussionen auf dieser Konferenz machten aber auch deutlich, wie sehr die Beschäftigten oft mehr Digitales in ihrem Arbeitsalltag wollen – statt einer kompletten Blockade dergleichen. Die Digitalisierung bietet schließlich auch Chancen zum Beispiel für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Irgendwann an diesem Tag fielen deshalb ausgerechnet während einer Diskussion noch zwei schlaue Sätze: »Bei der Digitalisierung, da müssen Sie sich so durchmanövrieren. Sie können da nicht einfach mit dem Bulldozer durch.«

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