nd-aktuell.de / 28.10.2016 / Politik

Erdogans Kampf gegen den kurdischen Fußball

Regisseur Onur Öncü im Gespräch über Repression im türkischen Fußball, Deniz Naki und den Kampf um die Kurve

Sebastian Bähr

Wie denkt die Fußballszene in der Türkei über den zunehmenden autoritären Kurs des Landes?
Seit den Gezi-Protesten 2013 hat sich die Stimmung unter den Fußballfans geändert. Es gab damals einen Höhepunkt an Politisierung. Nach der Niederschlagung der Proteste wurde es wieder ruhiger. Die Regierung ging mit harter Repression gegen Fans und Ultras vor. Zur Zeit wird die Türkei mehr und mehr zu einer Diktatur. Meine Dokumentation legt den Fokus auf die kurdischen Mannschaften im Südosten und ihre Erfahrungen.

Welche Rolle spielte der Putschversuch vom Juli für die Fußballwelt?
Der türkische Fußballverband hat viele Schiedsrichter entlassen. Darunter waren Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, aber auch viele Personen, die die Regierung einfach nicht mochte. Es konnte jeden treffen, der keinen AKP-Mitgliedsausweis besaß. Für die Fans war es aber nur ein kleiner Unterschied, Unterdrückung gab es auf den Tribünen schon vorher.

Welche Möglichkeiten haben Fans und Mannschaften noch, sich zu äußern?
Die kritischen Fans nutzen fast nur noch das Internet. Ungewollte Banner sind verboten, für regierungskritische Ultras gibt es Stadionverbote. Der türkische Fußballverband kontrolliert die Fans über elektronische Chipkarten, genannt »Pasolik«. Darauf wird das Verhalten im Stadion dokumentiert. Wenn man politisch auffällt, gibt es Strafen, durch die Überwachungstechnik ist man leicht identifizierbar. Ohne Karte kann man die Spiele nicht besuchen. Gerade viele linke Fans gehen aufgrund des Chipkartenzwangs nicht mehr in die Stadien.

Wie ist die Stimmung in den Kurven?
Die Regierung baut eigene Fangruppen auf, um in den Kurven die Hegemonie zu erhalten. Sie versucht dort, konservative Kreise um AKP-Anhänger zu organisieren. Das ist zum Teil einfacher als auf der Straße, da Fanblöcke leichter zu kontrollieren sind. Die Situation kann sich aber schnell ändern. Als die Polizei während des Gezi-Aufstandes einen Aktivisten tötete, skandierten die Kurven als Protest seinen Namen. Auch konservative Fans hatten sich daran beteiligt.

In Ihrer Dokumentation geht es vor allem um den Club »Amedspor«. Wegen Zeigens eines Spruchbandes mit der Beschriftung »Die Kinder sollen nicht sterben, sie sollen zum Spiel gehen« hatte dieser Probleme bekommen. Warum wurde es als Provokation aufgefasst?
Kurdische Kinder und Jugendliche werden von der Regierung als Terroristen gebrandmarkt. Die staatliche Gewalt wird immer brutaler. Nach der Banneraktion gab es eine Welle von Solidarität für den Club. Das hatte der türkischen Regierung Angst gemacht.

Welche Strafe gab es für den Verein?
Amedspor erhielt eine hohe Geldstrafe, zudem gab es Heimspielverbot. Der ehemalige Sankt-Pauli-Spieler Deniz Naki wurde für zwölf Spiele gesperrt. Mittlerweile fordert die Staatsanwaltschaft sogar fünf Jahre Haft für ihn wegen des Verbreitens von »Terrorproganda«. Die Fans wurden noch am Tag der Banneraktion festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft der verantwortlichen Gruppe »Barikat« vor, eine Terrororganisation zu sein. Im November wird es eine erste Anhörung vor Gericht geben.

Hatten sich andere Mannschaften in der Türkei solidarisiert?
Leider nicht viele. Es war eigentlich nur der Club Fenerbahçe und seine Fans.

Woran liegt das?
Die türkischen Behörden haben begonnen, alle Vereine zu kategorisieren. Amedspor gilt als »kurdisches Team« und die Kurden generell als PKK-Unterstützer. So wurden dann auch die Mannschaft und die Fans zu Terroristen. Die Mainstream-Clubs überlegen sich zweimal, ob sie ihre Solidarität mit so jemandem verkünden. Viele Fans haben zudem noch das harte Vorgehen der Behörden gegen die Ultras von Çarşı Beşiktaş in Erinnerung. Nach der Niederschlagung der Gezi-Proteste gab es Gerichtsprozesse, bei denen Aktivisten ein Staatsstreich vorgeworfen wurde. Viele in der Fußballszene haben Angst.

Der Hamburger Verein FC Sankt Pauli hatte bei einem Spiel Solidarität mit Deniz Naki gezeigt, der Großteil der Mannschaft lief mit seinem Namen und Trikot-Nummer auf. Wurde das in der Türkei bemerkt?
Über die sozialen Medien wurde es sehr wohl wahrgenommen. Für Amedspor, seine Spieler, aber auch für die verfolgten Fans in der Türkei war das eine große moralische Unterstützung.

Warum geht die Staatsanwaltschaft so hart gegen Naki vor?
Naki kommt aus Dersim. In der Türkei repräsentiert diese Stadt kurdischen Widerstand und revolutionäre Haltung. Er hatte auch nach den Fußballspielen immer wieder mit Journalisten über Politik gesprochen und beispielsweise den Sieg seiner Mannschaft den Kräften gewidmet, die für Frieden eintreten. Durch seine Äußerungen politisierte er die Szene und änderte die Wahrnehmung des Fußballs in der Öffentlichkeit. Er stellte deswegen für die Regierung eine Gefahr dar.

In den kurdischen Gebieten sind viele Städte mittlerweile stark zerstört. Wie kann dort noch Fußball gespielt werden?
In einigen kurdischen Orten wie in Cizre wird kein Fußball mehr gespielt. Die Clubs haben sich aus den Ligen zurückgezogen. Einige spielen aber trotz der Gefahr weiter, darunter Amedspor, Dersimspor und Vanspor. Es ist schrecklich, die Spiele finden zwischen Wasserwerfern und maskierten Spezialeinheiten statt.

Was ist ihr Wunsch für den Fußball in der Türkei?
Ich beziehe mich auf das Spruchband von Barikat: Die Kinder sollen nicht sterben, sondern Fußball spielen. Gerade in den kurdischen Gebieten ist das zur Zeit für viele ein Traum.

Filmvorführung mit anschließendem Gespräch mit dem Regisseur
29. Oktober 2016, 12 Uhr
EISZEIT Kino, Zeughofstraße 20, 10997 Berlin
Der Eintritt beträgt 5 Euro.

Der Film wird in türkischer Sprache mit deutschen Untertiteln gezeigt und dauert 45 Minuten. Die Vorführung wird organisiert von der HDK Berlin-Brandenburg und der Interventionistische Linken Berlin.