So fern wie der Avatar

Standardisierte Auflösung und Inszenierung: Matthias Dell über die Bremer Tatort-Folge »Echolot«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Clou vom »Tatort« der letzten Woche bestand bekanntlich darin, dass Millionenpublikum und Fernsehpolizei am Ende ohne Täterin ins Bett gehen mussten.

Diese Woche ging die Sache kaum befriedigender aus: Wie schon in der Stuttgarter-Kubrick-Verwurste »HAL« ermitteln in der Bremer Folge »Echolot« (Redaktion bei Radio Bremen: Annette Strelow) die Kommissarinnen gegen einen modischen, aber schwer greifbaren Gegner: Künstliche Intelligenz.

Der Grundeinfall der Geschichte (Peter Henning, Christine Otto, Claudia Prietzel, Ben Braeunlich) bringt durchaus Leben in die Bude: Zwar ist Vanessa Arnold (die meiste Zeit im Off spielend: Adina Vetter) anfangs Unfallopfer, bei Überbringung der Todesnachricht an Mutter (die große Eleonore Weisgerber) und Tochter (Emilia Pieske) aber plötzlich am Telefon. Dabei handelt es sich, wie schließlich ermittelt wird, allerdings nur um den sehr weit entwickelten Avatar »Nessa«.

Diese - manche würden sagen: zukunftsvisionäre - Erfindung wirft allerhand philosophische Fragen auf. Sterblichkeit würde zum Beispiel an Schrecklichkeit verlieren, wenn das Nachleben durch digitale Avatare nur eine Frage der Stromversorgung ist. Mutter Arnold jedenfalls rekonstruiert mit Tante Lürsen (Sabine Postel) an der Seite, dass die persönlichen Kontakte mit Vanessa zuletzt weit weniger entspannt und angenehm waren als die Telefonate - die der Avatar führte. Der Tochter wiederum, die mit Bildschirmmutti groß wird, müssten die Unterschiede zwischen echt und künstlich überhaupt erst erklärt werden.

Sind sie dann noch welche? Wie die Münchner Folge in der vergangenen Woche legt »Echolot« nahe, dass die Lüge mitunter besser fürs Leben sein kann als die Wahrheit. Der Vanessa-Kollege und -Bewunderer Paul (Christoph Schechinger) träumt sich in Virtual-Reality-Welten das Leben mit Vanessa zusammen, dass er nicht mit ihr führen konnte, weil der Vater des Kindes und Mann der Frau nun mal Silicon-Valley-David (Matthias Lier) war. Dass Paul in diesen Träumen nicht im Rollstuhl unterwegs ist, dürfte manchen im Übrigen als paternalistische Vorstellung vom Leben mit Handicap erscheinen.

Was aber immer an großen Fragen in dem Bremer Tatort-Fall steckt, wird von der standardisierten Auflösung und Inszenierung (Regie: Claudia Prietzel und Peter Henning) versenkt.

Die Folge läuft in der ARD-Themenwoche »Die Zukunft der Arbeit«, was man nicht so ohne Weiteres erkannt hätte; wobei die Anforderungen einer ARD-Themenwoche auch einiges an Ballast bedeuten für eine Form wie den Film, dessen Gelingen ja als Kunst gilt. »Die Zukunft des technischen Fortschritts« oder »Die Zukunft der Gefühle« wären jedenfalls auch denkbare Kontexte für den Film.

Wird man nun aber durch das Motto auf »Arbeit« gestoßen, dann fällt doch auf, wie schwer es der Mensch dereinst haben wird. Oder vielleicht auch nur diese deutschen Fernsehermittler, also Tante Lürsen und Steadyfriend (Oliver Mommsen), der die Irritation über seine unklare Rolle immerhin galgenhumorig bearbeitet: »Das klingt doch endlich mal nach klassischer Polizeiarbeit - warten, bis der Erpresser sich meldet.«

Denn deutsche Fernsehermittlungsarbeit besteht vor allem darin, permanent mit Verdächtigen den Fall zu besprechen. Eine andere Idee von Visualisierung einer Geschichte gibt es nicht, so werden Handlungen motiviert, Bewegungen initiiert, Dialoge gemacht. Die Kommissarin, wie dieser »Tatort« sie vorstellt, ist irgendwas zwischen Moderatorin, Polizistin, Therapeutin und Kurierin.

Für Heiterkeit sorgen derweil die eher putzig geratenen Versuche, mit »Golden Bird Systems« eine Start-up-Welt zu kreieren, in der alle immer gut drauf sind und so Sachen sagen wie die Jungdynamos in ihren Digitalwirtschaftsbuden: »The real thing.« Oder auch: »Super Performance, Guys.«

Die kulturelle Distanz zum gemeinten Milieu überbrücken die drei Guys (als Chef unter Druck noch: Lasse Myhr) leider nicht ganz. Was aus der neuen, als eine Art Technologie auf zwei Beinen angelegte Ermittlerinnenfigur Linda Selb (Luise Wolfram) noch wird, ist nach ihrem nun zweiten Auftritt weiterhin offen. Was die Zukunft der Arbeit betrifft: Immerhin ist sie ihren Gefühlen schon fast so fern wie der Avatar.

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