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Stürmische Zeiten an der »Space Coast«

Im Bundesstaat Florida könnte sich die Präsidentschaftswahl in den USA entscheiden

  • Max Böhnel, Brevard County
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf einmal steht es im »Sunshine State« wieder Kopf an Kopf, und damit auch ein zuletzt durchaus möglicher haushoher Gesamtwahlsieg Hillary Clintons am 8. November in Frage. Eine aktuelle NBC-Umfrage sieht Clinton in Florida bei 45 und Trump bei 44 Prozent, in einer Erhebung der »New York Times« liegt der republikanische Präsidentschaftskandidat gar mit vier Prozentpunkten vorn. In keinem anderen der sogenannten »Swing States« mit wechselnden Wählerpräferenzen für eine der beiden großen Parteien werden so viele Wahlmännerstimmen vergeben wie im südlichsten Bundesstaat der USA. Ein Sieg dort ist für Trump, der in der Gesamtwertung weiter zurückliegt, ein Muss, um seine Chancen zu wahren.

Wenn der Mittfünfziger Phil Stasik auf den Wahlkampf angesprochen wird, schüttelt er den Kopf. Dass »so etwas wie Trump, so ein Hass und so etwas Faschistoides« in den Vereinigten Staaten passieren könnte, habe er sich Zeit seines Lebens nicht vorstellen können. Der Ex-Pilot lebt an der Westküste von Florida unweit des NASA-Raumfahrtgeländes. Seit Jahren engagiert er sich politisch »links, fortschrittlich, progressiv, was immer das hier nach unseren bescheidenen Mitteln heißen mag«, räumt er ein. Denn im Wahlbezirk Brevard, der an seinem Küstenstreifen auch »Space Coast« genannt wird, sind eingetragene Republikaner in der Mehrheit. Stasik macht lokale Oppositions- und Aufklärungsarbeit, als Vorsitzender der »Space Coast Progressive Alliance«.

Gleich vier Großveranstaltungen in Florida stehen für Trump diese Woche auf dem Plan, keine allerdings an der »Space Coast«. Noch nicht eingerechnet sind dabei zusätzliche Auftritte, die Trumps Vizepräsidentschaftskandidat Mike Pence plant, und mögliche Wochenendtermine. Trumps Anhänger werden Tag für Tag lauter, auch in Florida wird ihr Ruf »Lock her up« (Sperrt Clinton ein) und »Drain the Swamp« (Trocknet den Sumpf aus) ertönen.

Trumps Anhänger sind wie im Rest des Landes überwiegend weiße Männer gesetzten Alters. Umfragen während der republikanischen Vorwahlen im März hatten ein Schlaglicht auf ihre soziale Herkunft geworfen. Es handelt sich überwiegend um Personen mit einem über dem Durchschnitt liegenden Einkommen, die abstiegsbedroht sind oder sich abstiegsbedroht wähnen.

Eine Studie der Florida International University erhärtete diesen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsdaten und Vorwahlergebnissen. In den Wahlbezirken, in denen die Haushaltseinkommen in den Jahren seit der Rezession von 2007 am meisten nach unten gingen, wurde überwiegend Trump gewählt. Dazu kommen - eine Besonderheit im bevölkerungsältesten US-Bundesstaat - wohlhabende Rentner, die im warmen Florida entweder eine Zweitresidenz oder sich ganzjährig niedergelassen haben.

Sinnbildlich dafür stehen die mit Trump-Aufklebern versehenen Golfer-Karren, mit denen die Pensionäre durch ihre exklusiven Wohn- und Freizeitanlagen kurven. Um beide Wählersegmente bemüht sich Trump umso mehr, seit er ethnische Minderheiten und Frauen weitgehend verloren hat. Gerade auf sie geht Hillary Clinton gezielt zu.

Neben den Frauen geht es dabei in Florida vor allem um Puerto-Ricaner, die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. Denn die Wirtschaftskrise und der Bankrott der Karibikinsel ziehen seit Monaten ihre Bewohner nach Florida, wo sie sich an den Präsidentschaftswahlen beteiligen dürfen. Im Gegensatz zu Einwanderern aus dem Ausland sind Puerto-Ricaner US-Bürger. Die Demokraten warben um sie gezielt mit Wählerregistrierung, was laut Meinungsumfragen von Erfolg gekrönt sein wird. Etwa drei Viertel der puerto-ricanischen Wähler entscheiden sich demnach für Clinton.

Diese Zahl entspricht dem voraussichtlichen Wahlverhalten aller Latinos in Florida, die dort mit viereinhalb Millionen Menschen ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Als Trump im Frühjahr rassistisch von »Vergewaltigern und Drogenschmugglern« sprach, die aus Mexiko in die USA kommen würden, war für die meisten Latinos klar, dass sie ihn nicht wählen würden.

Phil Stasik weist auf ein grundsätzliches Problem hin, das bei aller Unterstützung für Clinton weiter bestehen wird, selbst wenn sie Florida und die Wahlen haushoch gewinnt: die wirtschaftlich prekäre Situation in Florida, die vor gut zehn Jahren mit voller Wucht zu einer schweren Rezession wurde. In Behördenberichten, auch in Washington, ist zwar meistens von einer wirtschaftlichen »Wiederbelebung« die Rede. Der Gouverneur von Florida, der Republikaner Rick Scott, und die wirtschaftlichen Eliten verbreiten Erfolgsmeldungen - etwa dass die Arbeitslosenquote auf unter fünf Prozent gesunken sei und dass die Wirtschaft in Florida doppelt so viele Arbeitsplätze geschaffen habe wie im landesweiten Vergleich. »Aber die arbeitende Bevölkerung spürt davon nichts«, sagt Stasik.

Tatsächlich rangieren in Umfragen, die die Lebensumstände von Menschen betreffen, Arbeitsplätze und Wirtschaft ganz oben auf der Liste der Hauptsorgen. 63 Prozent der Floridianer stehen unter großem finanziellen Druck. Die Gründe sind eine starke Verschuldung und zu niedrige Löhne. Mehr als die Hälfte der Befragten plädiert für die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar.

Über die Hochglanz-Werbebroschüren, die von Floridas »Wirtschaftskonjunktur« faseln, kann Phil Stasik nur müde lächeln. Tatsächlich seien in den vergangenen Jahren im »Sunshine State« viele neue Arbeitsplätze entstanden, aber es seien eben oft Niedriglohnjobs. Die Mehrheit der Bevölkerung habe weniger Besitz und weniger Kaufkraft als zuvor, »geschweige denn Ersparnisse«. Von Vollbeschäftigung und steigenden Löhnen, also Kriterien für eine echte wirtschaftliche Erholung, keine Spur.

Ein weiteres Problem: In manchen Bezirken gab es unter dem Strich überhaupt keinen Jobzuwachs. Außer in Metropolen wie Miami existieren heute sogar weniger Arbeitsplätze als vor 2007. Das betrifft ländliche und suburbane Regionen besonders stark. Die durchschnittlichen Haushaltseinkommen liegen in Florida heute etwa zehn Prozent niedriger als vor zehn Jahren. Gleichzeitig ging die Einkommensschere auseinander. Während die Mittelschicht »langsam, aber sicher immer mehr den Boden unter den Füßen verliert«, wie es Stasik formuliert, nahmen mit dem wachsenden Reichtum der Eliten das Ausmaß der Armut und die Zahl der Armen zu.

Er wünsche sich mehr »Querdenken« im herrschenden Wahl- und Medienzirkus, sagt Stasik und seufzt. Anfangen könne man beispielsweise mit der Diskussion, weshalb fast die Hälfte der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten und die meisten Stimmberechtigten aus der »working class« an Präsidentschaftswahlen überhaupt nicht teilnimmt.

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