Jobcenter nimmt keine Rücksicht auf Kinder

Zwei alleinstehenden Frauen wurde durch die Behörden das Geld gekürzt / Experte Sell kritisiert die Sanktionierung als »Willkür«

Berlin. Im brandenburgischen Rheinsberg wurde der 19-jährigen Mutter eines dreijährigen Sohnes und einer Tochter im Säuglingsalter vom zuständigen Jobcenter die Beihilfe um 225 Euro gekürzt. Das berichtet die »Märkische Allgemeine«. Der Grund: Die Behörde geht davon aus, dass die Frau mit dem Vater ihrer Tochter in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Das jedoch bestreitet die Mutter - und das wahrscheinlich zu recht. Denn selbst der Bedarfsermittlungsdienst des Amtes hat den Angaben des Anwaltes der Betroffenen zufolge keine Hinweise dafür, dass sie mit dem Vater der Tochter zusammenlebt.

Bis zur Geburt des Mädchens vor etwa fünf Wochen bekam sie 900 Euro im Monat, knapp 300 Euro gehen für die Miete drauf, 190 Euro waren Kindergeld und 150 Euro ein sogenannter Unterhaltsvorschuss. Aktuell muss die Rheinsbergerin mit 675 Euro auskommen. Zu wenig, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Der Anwalt hat nun Strafanzeige gegen das Jobcenter gestellt - wegen unterlassener Hilfeleistung und des Verdachts der Körperverletzung im Amt.

Ein anderer Fall von staatlicher Willkür sorgt momentan in Nordrhein-Westfalen für Aufregung. Dort hat das Jobcenter laut einem Zeitungsbericht einer alleinerziehenden Mutter aus Soest die Hartz-IV-:Leistungen gestrichen. Und dass, obwohl das Sozialgericht die Behörde dazu aufgefordert hat, das Geld zu überweisen. Die Frau muss wohl oder über mit dem ihr zustehenden Eltern- und Kindergeld auskommen.

Wie kann das angehen? Dem zuständigen Sachbearbeiter waren bei einem Hausbesuch zwei Herrenschuhe aufgefallen, worauf er nach Angaben des Anwaltes der Soesterin schloss, »dass ein Mann mit im Haus wohnt, der genug Geld hat«. Der Jurist gab jedoch an, dass seine Mandantin alleine wohne. Die Schuhe gehörten dem Ex-Mann, der die Kinder gelegentlich besuche und abhole. Jetzt muss die nächste Instanz den Sachverhalt klären. Zuminest bis zu einer Entscheidung des Landessozialgerichtes werden die Hartz-IV-Bezüge wieder ausgezahlt, erklärte der Chef des Jobcenters, Martin Steinmeier.

»Dieser Fall macht deutlich, wie stark das derzeitige Machtgefälle zwischen Erwerbslosen und Mitarbeitern in den Jobcentern negativ angewendet werden kann«, kommentiert die Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann die Sanktionierungen auf nd-Anfrage. »Werden Erwerbslose oftmals komplett durchleuchtet und müssen sich für vieles rechtfertigen, fehlt diese Gegenkontrolle bei den Mitarbeitern in den Jobcentern.« Die Bundesagentur für Arbeit müsse verbindliche Regularien in den Jobcentern festlegen, damit Kompetenzen nicht überschritten werden können, so Hannemann, die für die Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft sitzt.

Der Hartz-IV-Experte Sefan Sell schlägt in die selbe Kerbe. Er kritisert die »erhebliche Varianz« der Sanktionen zwischen den einzelnen Jobcentern, die nicht logisch erklärt, sondern mit den unterschiedlichen Haltung der jeweiligen Mitarbeiter begründet werden kann – möglicherweise in Verbindung mit allgemeinen Sparvorgaben bei den passiven Leistungen. »Man kann hier auch von Willkür sprechen«, so der Professor von der Hochschule Koblenz gegenüber »nd«.
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