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Ditzinger Trumple

Günther Oettinger ist wieder einmal nicht zurückgetreten - eine Laudatio. Von Velten Schäfer

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ist es fair, Günther Oettinger mit Donald Trump zu vergleichen? Immerhin schafft es auch der 1953 geborene CDU-Politiker immer wieder, an Basisinstinkte zu appellieren: Regionalstolz, wenn auch im Negativen. Selbst diejenigen Landeskinder, die sich abgestoßen fühlen von der properen Selbstzufriedenheit zwischen Aalen und Freiburg, bringt er immer wieder in die Verlegenheit, Baden-Württemberg zu verteidigen. Denn der Stuttgarter Ex-Regierungschef, der englisch spricht wie ein Dinnele mit Suser, lässt sich nicht als gesamtrepublikanische Peinlichkeit abtun. Er klebt symbolisch am Südwesten wie ein Pfund Pech.

Also, sagt man dann, ganz so wie der ist das Ländle auch wieder nicht - um, je nach Couleur, ein Hoch auf die Geschwister Thalheimer aus Affaltrach auszubringen oder an den Heckerzug von 1848 und die badische Verfassung von 1818 zu erinnern oder zur Not an den grünen Ministerpräsidenten. Und im aktuellen «Fall» lässt sich vorbringen, dass Oettinger seine «saloppen» Späßle über schuhcremeglänzende Schlitzaugenscheitel, Zwangshomoehe, Quotenfrauen und wallonische Kommunisten vor einem Saal voll Hanseaten abließ, der ihn dafür feierte.

Als dies die Runde machte, verlangten Grüne und LINKE seinen Rückzug - zumal bekannt wurde, dass der Digital- nun Haushaltskommissar der EU werden soll. Damit machten sich die Kritiker ein wenig lächerlich, denn Oettinger ist schon wegen ganz anderer Sachen nicht zurückgetreten. Offensichtlich gilt für ihn in Sachen Peinlichkeits- und Skandaltoleranz eine Spezialskala. Und oft zeigt diese in den seltenen Fällen, in denen er sich entschuldigt, noch einen Zusatzausschlag. So auch jetzt, als er nach Kritik aus China erklärt, er habe ja niemand beleidigen wollen, sondern bloß «frei von der Leber gesprochen», wie wir in Deutschland sagen« - als sei sein Vokabular hierzulande halt Gemeingut.

Oettinger hat gefordert, bei der EU die Flaggen von »Schuldensündern« auf halbmast zu setzen. Er pries vor seiner Studentenverbindung »Ulmia« den wirtschaftlichen Nutzen von Kriegen »bei der Rente oder der Staatsverschuldung«. Er ernannte den früheren Regierungschef und NS-Richter Hans Filbinger (CDU) einen Nazigegner. Dem Tübinger OB warf er »Landesverrat« vor, weil er einen Toyota fuhr, den Rottenburger versah er mit dem Kompliment, er hätte auch ein »guter Frauenarzt« werden können, weil er so viele »Verehrerinnen« habe. Einen Gastronomen, gegen den wegen Sozialbetrugs ermittelt wurde, feierte er als »württembergischer Meister im Seitensprung«. Er ist für das »Recht auf Vergessen« im Internet, außer bei Nacktfotos von Promis, weil die dummen Dinger diese ja selbst einstellten - und so weiter. Als Ministerpräsident verheimlichte er Kostensteigerungen bei Stuttgart 21; seine Lebensgefährtin saß im Vorstand eines interessierten Investors.

Bei der Neigung zum Herrenwitz endet freilich die Analogie mit Trump. Zwar hat auch Oettinger als Miteigner einer Anwaltskanzlei seine Schäfchen im Trockenen. Doch kommt er an Trumps Geschäftssinn so wenig heran wie an dessen Medientauglichkeit: Eine TV-Serie mit ihm wäre der Tod des betreffenden Senders. Vor allem aber käme Oettinger nie auf die Idee, irgendjemand - wie verlogen auch immer - gegen »das Establishment« zu mobilisieren. Sein Humor entspricht seiner Karriere und Denke: immer schön von oben herab. 1977 stieg er als Gründer und Vorsitzender der Jungen Union in Ditzingen bei Stuttgart ein, schnell wurde er Landtagsabgeordneter und JU-Landeschef, wobei er 1989 mit der Forderung nach einem Motorradverbot reüssierte - und als Mitglied des »Andenpakts« Helmut Kohl zum Rücktritt aufforderte. Dafür gab es auf den Deckel; für Oettinger eine nachhaltige Erfahrung. Hernach war er weniger vorlaut auf dem Weg zum damals CDU-erblichen Ministerpräsidentenamt: Schon 1991 wurde er Fraktionschef, aber erst 2004 zwang er Erwin Teufel zum Rückzug.

In der Villa Reitzenstein konnte man damals nicht viel verbocken. Nach der Einführung des Euro exportierte Baden-Württembergs Industrie ihre Maschinen und Autos in künstlich weicher Währung; mit dem Stuttgarter Tiefbahnhof war ein gigantisches Investitionsprogramm beschlossen, das vom Ländle nur zum Bruchteil berappt werden musste - eine Gewinnersituation! Dennoch ging Oettinger als »glücklos« in die Annalen ein. Dazu trug etwa sein gescheitertes Ansinnen bei, die Handschriftensammlung des Landes zu verscherbeln, um die badische Herzogsfamilie zu befrieden.

Schon 2007 begann sein Thron zu wackeln - auch, weil die Ehe kriselte und Partyfotos auftauchten. Für diese konnte man Oettinger fast mögen - sie zeigten ja nicht, was bei diesen Feten so geredet wurde. Doch Kurznachfolger Stefan Mappus packte die Säge aus und 2010 wurde Oettinger nach Brüssel expediert. Dort profilierte er sich als Austeritätsfan, Gegner erneuerbarer Energie und, etwa bei der Netzneutralität, Onlineversteher nach Gusto der Internetbetreiber - und natürlich als Chefsprücheklopfer. Vielleicht wird das schwäbische Trumple ausgerechnet in dieser Eigenschaft noch einmal wertvoll. Wenn nämlich in den USA in ein paar Tagen ...

Aber das möchte man am heutigen Tage lieber noch nicht ganz so laut aussprechen.

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