Akzeptanz oder doch nur Toleranz?

Die Reaktionen auf Carolin Emckes Friedenspreis-Rede und der Kulturkampf zwischen Links und Rechts

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor gut zwei Wochen erhielt die Schriftstellerin Carolin Emcke den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ihre Dankesrede in der Paulskirche in Frankfurt am Main wäre noch vor zwei Jahren recht unspektakulär gewesen. Emcke mahnte in ihrer Rede Werte wie Toleranz und Akzeptanz an, kritisierte Vorurteile gegenüber Minderheiten und fragte sich und ihr Publikum, wie sich Ressentiments in der Gesellschaft beseitigen lassen. Doch wir befinden uns nicht mehr in der Zeit vor dem diskurspolitischen Super-GAU, der durch den Aufstieg der AfD in der Parteienlandschaft symbolisiert ist. Emckes Text ist dementsprechend keine sanft vorgetragene, präsidiale Wohlfühlrhetorik, er ist eine Verteidigungsrede. Aus der Rede spricht die Verzweiflung über die Brutalisierung des öffentlichen Diskurses. «Sie», also die anderen, «wollen uns einschüchtern», so Emcke, «damit wir voller Verstörung ihre Begriffe übernehmen, ihre falschen Gegensätze, ihre konstruierten Anderen». «Sie» beschädigten den öffentlichen Diskurs «mit ihrem Aberglauben, ihren Verschwörungstheorien». «Sie» verbreiten «Angst und Schrecken und reduzieren den sozialen Raum, in dem wir uns begegnen und artikulieren können.»

Wer ist mit «wir» gemeint? Für wen Emcke persönlich spricht, ist klar. Carolin Emcke ist lesbisch und macht daraus kein Geheimnis. Als Angehörige einer Minderheit weiß sie, dass sie nur dann gesellschaftlich überleben kann, wenn die Mehrheit sie zumindest toleriert. Emcke spricht aber auch für die Mehrheit, denn das, was sie einfordert, sind zivilisatorische Standards, die, so möchte man meinen, von vielen geteilt werden.

Dennoch hat ihre Rede zum Teil heftige Gegenreaktionen hervorgerufen. Nicht nur von der äußersten Rechten, was erwartbar war. Der Berliner Philosoph Alexander García Düttmann bezeichnete in der FAZ das, was Emcke in der Paulskirche vortrug, als einen Diskurs, «der sich an sich selbst berauscht». Seine «gefährliche Zweideutigkeit» gebe nur vor, «auf Andersheit oder Pluralität und Offenheit zu zielen». Er führe dazu, dass man nichts gegen ihn einwenden könne, «weil er jeden Einwand schon vorweggenommen und sich ein gutes Gewissen verschafft hat, aber nie im Ernst.» Ähnlich formulierte es der Berliner «Tagesspiegel». «Was der Hass für die einen, ist die Verachtung der Hassenden durch die anderen. Was die Ausgrenzung der einen, ist die Ausgrenzung der Ausgrenzenden durch die anderen.»

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In Berlin verhandeln derzeit SPD, Linkspartei und Grüne über eine Senatskoalition. Vor wenigen Tagen sickerte durch, dass Rot-Rot-Grün plant, dass alle PKW-Parkplätze im S-Bahnring gebührenpflichtig werden. «Alle!», wie der «Berliner Kurier» im empörten Duktus betonte. CDU und FDP sprechen von einem «Kulturkampf gegen die Autofahrer».

«Kulturkampf» ist ein Vorwurf, den man in letzter Zeit häufiger vernimmt. Von einem Kulturkampf redet auch die politische Linke. «Phänomene wie Pegida und AfD», so heißt es im Klappentextes eines Buches mit dem programmatischen Titel «Kulturkampf von rechts», «machen die Ausbreitung rechter Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft deutlich und signalisieren einen Rechtsruck in Deutschland».

«Kulturkampf von rechts»? Ja, aber den Kampf haben in den Augen des AfD-Milieus nicht die Rechten, sondern die Linken begonnen. Diese Feststellung ist so falsch nicht, denn in den zurückliegenden 20 Jahren hat das Liberale und Linke im gesellschaftlichen und kulturellen Überbau Normen gesetzt. Nicht das Linke muss sich gegen die Anmutungen konservativer Gesellschaftsregeln verteidigen und um Anerkennung ringen, sondern das Konservative muss um seine Legitimation streiten.

Deutlich wird das aktuell am Streit um die vom hessischen Kultusministerium erlassenen Richtlinien für den Sexualkundeunterricht an den Schulen des Landes, in dem die «Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intersexuellen Menschen (LSBTI)» als Ziel des Unterrichts formuliert wird. Die Richtlinien kommen aus dem Haus des Kultusministers Ralph Alexander Lorz, und der gehört der CDU an. Mit anderen Worten: Ein CDU-Politiker tritt für einen Lehrplan ein, der Formulierungen enthält, die man vor 20 Jahren allenfalls in links-grün orientierten Uniseminaren und Politzirkeln vernahm und die in einer Gesellschaft, in der zum Teil noch die Kriegsgeneration mit ihren aus der NS-Zeit stammenden Wertvorstellungen politische Ämter bekleidete, ein randständiges Dasein fristeten.

Über die Richtlinien für den hessischen Sexualkundeunterricht gibt es zurzeit heftigen Streit. Vor Wochenfrist demonstrierten Gegner und Befürworter in Wiesbaden. In der Auseinandersetzung zwischen den klerikalen, ultraorthodoxen Christen auf der einen und den linken Aktivisten auf der anderen Seite ging dabei unter, dass auch von den Kirchen und dem Landeselternbeirat Kritik an dem Gesetz geäußert wurde. Moniert wird, dass in den Richtlinien von «Akzeptanz» die Rede ist. Man hätte es, so die katholische Kirche in einer Stellungnahme, beim Lehrplan von 2007 belassen sollen, der «Respekt und Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Lebensstilen» eingefordert habe.

Diese Kritik wird jedoch äußerst zaghaft vorgetragen, denn man fürchtet, mit den klerikalen Rechten in einen Topf geworfen zu werden. Die Auslassungen des Landeselternbeirats und der katholischen Kirche treffen aber den eigentlichen Kern des Kulturkampfes: Soll auf die erkämpfte Toleranz jetzt eine allseitige Akzeptanz folgen! Für Minderheiten ist dies eine nachvollziehbare und berechtigte Forderung. Emcke hat in ihrer Paulskirchen-Rede genau das gemeint, als sie den mittlerweile vielfach zitierten Satz «Wir dürfen Reden halten in der Paulskirche, aber heiraten oder Kinder adoptieren dürfen wir nicht?» aussprach. Aber offenbar können oder wollen dem nicht alle folgen. Abseits der extremen Rechten können zwar mittlerweile viele ertragen (genau das meint die Forderung nach Toleranz), dass es Lebensweisen gibt, die von den ihrigen abweichen, sie sind aber nicht bereit, diese als für sich normsetzend anzunehmen.

Für politische Linke entsteht so eine ganz neue Herausforderung: So wie es die Verantwortung der Konservativen einst war (bzw. hätte sein müssen), in all ihren Entscheidungen, die sie trafen, auch den Teil der Gesellschaft mit zu bedenken (bedenken im Sinne von: die Gegenposition, sofern sie auf rationalen Argumenten beruht, nicht aus dem Diskurs auszuschließen), so steht es heute in der Verantwortung des normgebenden linken Mainstreams (dort, wo er wirksam ist, also z.B. in der Geschlechterpolitik, in den Sprachregelungen, in den Fragen der Durchsetzung der Akzeptanz von sexuellen und habituellen Minderheiten) die eben in diesen Fragen in die Minderheit abgedrängten Konservativen nicht zu überrumpeln.

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Der Berliner Schriftsteller Boris Preckwitz hat einen Offenen Brief an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Heinrich Bedford-Strohm, und den Berliner Bischof Markus Dröge verfasst. In dem Schreiben geht es Preckwitz, der in der Lokalpolitik für die AfD tätig ist, um die Haltung der Evangelischen Kirche «in der Migrations- und Islam-Frage». Es stünde der evangelischen Kirche sicherlich frei, so Preckwitz, einen «politischen Gottesdienst» oder eine «öffentliche Theologie» zu zelebrieren. Eine Kirche aber, die dies «im Geist des Linkspopulismus tut», mache sich unglaubwürdig. Der wichtigste Satz findet sich im Anschluss an diese Passage. «Sie sollten als gesetzt ansehen, dass auch der Konservativismus - Bonhoeffer deutet dies in seiner »Ethik« an - Teil einer katechontischen Ordnung ist.

Ähnlich wie Carolin Emcke ist auch ihr Schriftstellerkollege Boris Preckwitz im Verteidigungsmodus: Sein Brief ist ein Appell an eine von ihm unterstellte Mehrheitsmeinung in der EKD, die doch akzeptieren möge, dass es das Konservative in der Gesellschaft auch noch gebe. Es existiert aber ein Unterschied zwischen beiden Texten: Preckwitz begreift sich im öffentlichen Diskurs als randständig - obwohl, nebenbei bemerkt, auch seine Partei behauptet, im Namen des Volkes zu sprechen.

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