nd-aktuell.de / 09.11.2016 / Politik / Seite 18

Attac will Gemeinnützigkeit zurück

Globalisierungskritiker klagen am Donnerstag gegen Entzug von Steuervorteilen

Christian Kießling

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e. V., die Bertelsmannstiftung, unzählige Schützen- und Faschingsvereine - sie alle haben das, was das Finanzamt Frankfurt am Main der globalisierungskritischen Organisation Attac vor zwei Jahren aberkannt hat: den Status der Gemeinnützigkeit. Dieser sichert den Organisationen und ihren Spendern unter anderem steuerliche Vorteile.

Über die Klage Attacs gegen den Entzug werden nun die Finanzrichter in Kassel entscheiden. Der Grund für den Rechtsstreit: Aus Sicht der Frankfurter Behörde ist Attac politisch zu aktiv. Diverse Kampagnen des Bündnisses hätten Einflussnahme auf das politische Tagesgeschäft zum Ziel. Damit überschritten die Globalisierungskritiker das in der Abgabenordnung (AO) abgesteckte Feld gemeinnütziger Tätigkeit. In den Augen Attacs eine haltlose Argumentation: »Die AO verbietet nicht politische Aktivitäten per se, sondern nur die Einflussnahme auf Parteien«, erklärt Sprecherin Frauke Distelrath. Für Dirk Friedrichs vom Vorstand des Trägervereins ist die Sachlage ebenfalls klar: »Ich bin überzeugt, dass wir nach geltendem Recht gemeinnützig sind. Das Finanzamt scheint aber politischen nicht von parteipolitischem Einsatz unterscheiden zu können.« Im diesem Sinne verweist auch die Klagebegründung Attacs auf die Kluft zwischen der Praxis des Finanzamts und dem Rechtstext. Dieser verstünde politische Tätigkeiten nämlich nicht als der Gemeinnützigkeit abträglich.

Dennoch ließt sich die Abgabenordnung teilweise skurril. 25 Zwecke sind dort aufgelistet, die als »Förderung der Allgemeinheit« gelten, darunter etwa Tierzucht und Kleingärtnerei. Das Anliegen von Attac, die Finanzmärkte zu regulieren, sei dagegen kein Ziel im Sinne aller, so die damalige Argumentation des Finanzamtes.

Eine Allianz aus mehr als 40 Vereinen hatte sich daraufhin gegründet - darunter Brot für die Welt und foodwatch - und eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts gefordert. Dass das in einem großen Wurf geändert wird, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Dafür braucht es ein Gesetzgebungsverfahren. Und schon 2007, als Peer Steinbrück die Gemeinnützigkeitsdefinition reformieren wollte, gab es am Ende nur kleine Änderungen.

Attac ist freilich nicht die einzige Organisation, die im Fokus der Behörden stand oder steht. Erst 2015 wurde dem in Frankfurt am Main ansässigen Verein Doña Carmen, der sich für die Rechte von Prostituierten engagiert, die Gemeinnützigkeit abgesprochen. Begründung auch hier: übermäßige politische Aktivität. Für die Organisation unverständlich: »In unserer seit 1998 mehrfach als gemeinnützig anerkannten Satzung heißt es, der Verein fördert Aktivitäten, die sich gegen die Diskriminierung von Prostituierten wenden. Wie man das auf eine nicht-politische Weise erreichen soll, ist uns schleierhaft«, kritisiert Sprecherin Juanita Henning.

Dass sich das Finanzamt trotzdem dafür entschied, langjährig als gemeinnützig anerkannten Bündnissen wie Doña Carmen und Attac den Status zu entziehen, spricht nicht nur aus Sicht der Betroffenen für einen zu großen Auslegungsspielraum auf Seiten der Behörden. So betont Sigrid Erfurth, Grünen-Sprecherin für Finanzen im hessischen Landtag, zwar die Notwendigkeit einer Abgrenzung von Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass der derzeitige Anwendungserlass zur AO, dies gar nicht zulasse. Auch für Willi van Ooyen, dem Fraktionsvorsitzenden der Linken in Hessen, ist der Attac-Streit nicht zuletzt Symptom einer diffusen Rechtslage. Hinter Aberkennungen sieht er ein gezieltes politisches Interesse: »Politik und Gerichte haben sich darauf eingestellt, dass antikapitalistische Vereine nicht gemeinnützig sind.« Der auf Non-Profit-Organisationen spezialisierte Rechtsanwalt Thomas von Holt verweist auf einen ähnlichen Punkt: »Die Finanzverwaltung ist hochgradig politisch durchsetzt.« Der Jurist hält eine »stärkere Kontrolle der Behörden« für angebracht.

Ob die Klage Attacs Erfolg haben wird, lässt sich für Holt bei alledem schwer vorhersagen: »Natürlich hat Attac in der Sache recht. Die Frage ist, ob die Richter mutig genug sind, das anzuerkennen.« Egal wie das Finanzgericht entscheiden wird - eine starke Signalwirkung des Urteils steht außer Zweifel. Juanita Henning vom ehemals gemeinnützigen Verein Doña Carmen sieht in dem Prozess einen »Lackmustest hinsichtlich der Akzeptanz kritischen zivilgesellschaftlichen Engagements.« Sie erwarte, dass Attac Recht gegeben wird - »alles andere«, so Henning, »würde die politische Kultur hierzulande durch Einschüchterung und Förderung von Duckmäusertum nachhaltig beschädigen.«