Die große Ungleichheit

Viele US-Amerikaner sehen sich um die Früchte des Aufschwungs betrogen

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.

Tiefe Enttäuschung und Unzufriedenheit sind für Millionen von Amerikanern der Grund, überhaupt wählen zu gehen und sich für Donald Trump oder Hillary Clinton zu entscheiden. Der Immobilienmogul aus New York hat in seinem Wahlkampf viel Porzellan zerschlagen mit seinem bombastischen Auftreten, seinen rassistischen und sexistischen Ausfällen.

Manche sind dadurch nicht abgeschreckt worden. Vor allem der zahlenmäßig stärkste Wählerblock in den USA: die weniger gebildete weiße Arbeiterschaft. Joshuan Carr weiß, wie dort gedacht wird. Der 35-jährige Besitzer des Babich Familienrestaurants im Landstädtchen Aliquippa in Pennsylvania, 65 Kilometer nordwestlich von Pittsburgh sagt: »Bringt Trump und wir werden wieder gewinnen.« So wie es jetzt sei, sei »die ganze Welt am A…«.

Aliquippa hat sich bis heute nicht von der Schließung des Stahlwerks Jones & Laughlin im Jahr 2000 erholt. »Das große J und L ist nicht mehr«, sagt Carr. Es war von Spekulanten der Wall Street gekauft, zerschlagen und dann geschlossen worden. Für Carr steht der Name Clinton gleich zwei Mal hinter dem Desaster. Zum einen war es Präsident Bill Clinton, der in den 1990er Jahren mit dem Freihandelsabkommen NAFTA, an dem auch Mexiko und Kanada teilnehmen, die letzten Sargnägel für die ohnehin schon kämpfende US-Stahlindustrie einschlug. Und Hillary Clinton wird von Carr und seinesgleichen nur als Handlangerin der Wall Street angesehen.

Während die reichen Amerikaner immer reicher wurden, stagnierten die Löhne der Arbeiter. 1978 verdiente ein CEO eines US-amerikanischen Großunternehmens jährlich im Schnitt etwa 1,5 Millionen Dollar - unter Berücksichtigung der Inflation auf heute hochgerechnet. Die Zahl stammt von der parteiunabhängigen Denkfabrik EPI in Washington. 2014 verdienten CEOs in derselben Position 16,3 Millionen Dollar. Ein Zuwachs um knapp 1000 Prozent. Die abhängig Beschäftigten, und das sind 80 Prozent der arbeitenden US-Amerikaner, bekamen 2014 nur 53 200 Dollar. Das sind nur zehn Prozent mehr als 1978.

Besonders stark war dieser Trend in jenen Landesteilen zu spüren, die Trump für sich an die Wahlurne bringen musste, um Clinton zu schlagen: die jetzt am Boden liegenden Stahlregionen im westlichen Pennsylvania, das zerstörte Industrie-Kernland von Ohio, Wisconsin und der gesamte Mittlere Westen.

Gebildete und gut verdienende Amerikaner aus den Boomstädten von Boston über New York bis San Francisco und Los Angeles haben eine abfällige Bezeichnung für diese Landesteile. Sie nennen sie »Überflug-Amerika«. Sie kennen die Regionen nur vom Blick aus dem Flugzeug, mit dem sie zwischen der Ost- und der Westküste geschäftlich unterwegs sind.

Trump hat versprochen, für die Arbeiter zu kämpfen. »Die Medien, Wall Street und die Politiker wollen uns aufhalten, denn sie wissen, dass wir dieses korrupte System in Ordnung bringen«, rief Trump in einer Wahlrede in Sioux City. Clinton stellte sich dagegen als Bewahrerin des Status quo dar, die das Land vor dem radikalen Trump bewahren wolle.

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