Mattscheibe mit Nebenwirkung

Die TV-Serie »Black Mirror« zeichnet mit Episodenfilmen eine Technik-Dystopie

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Schwarze Bildschirme. Oft sind sie das erste, was wir am Morgen sehen und das letzte, das beim Hinübergleiten in den Schlaf in Erinnerung bleibt. Den Rest des Tages sind sie gefüllt mit Bildern, Worten und sozialen Kontakten - Leben im Digitalzeitalter. Das Smartphone dient als Kamera, Musikspeicher, Notiz- und Telefonbuch; der Laptop fungiert als mobiles Büro, der E-Book-Reader ersetzt die Bibliothek. Die britische Science-Fiction-Serie »Black Mirror«, deren dritte Staffel seit Ende Oktober beim Streamingdienst Netflix zu sehen ist, nimmt sich der Chancen und Probleme der Bildschirm-Ära an und entwickelt sie zu beeindruckenden Dystopien weiter.

Die Geschichten spielen, wie auch die insgesamt sieben Folgen der beiden vorhergehenden Staffeln, nicht auf entfernten Planeten oder in einer unvorstellbar fernen Zukunft, sondern in einer mehr oder weniger vertrauten Umgebung und Zeit. Ob virtuelle Computerspielwelten, die sich zu echtem Horror entwickeln, potenziell tödliche Twitter-Shitstorms oder auf die Spitze getriebenes Cybermobbing - die Themen für die sechs Folgen speisen sich aus realen Ängsten und offenen Fragen hinsichtlich der rasanten Weiterentwicklung neuer Technologien. Wie kann sich der Mensch zwischen selbstfahrenden Autos, virtuellen Haushaltshilfen und künstlichen Doppelgängern behaupten, wie seine Menschlichkeit bewahren, wenn etwa alle seine Erinnerungen immer wieder abspiel- und vorführbar sind? Wie verhindert man Manipulationen an Geräten, die untereinander autonom agieren? Die Serie beantwortet diese Fragen nicht, sondern stellt sie neu - teilweise mit großer erzählerischer Kraft. »Wenn Technik eine Droge ist - und es fühlt sich wie eine Droge an - was genau sind dann die Nebenwirkungen?«, erklärte Produzent und Drehbuchautor Charlie Brooke dem britischen »Guardian« seine Intention zum Start der Serie im Jahr 2011.

Dass Wissenschaftler etwa daran arbeiten, künstliche Insekten herzustellen, ist schon lange keine Utopie mehr. Doch was würde passieren, wenn jemand die Kontrolle über solche Miniroboter übernähme? Wie könnte eine Welt aussehen, in der man nur einen Job, eine Wohnung oder einen Flug bekommt, wenn man genügend positive Onlinebewertungen gesammelt hat? Was wäre, wenn 3D-Karten oder -Baupläne nicht mehr per Computerbrille über die reale Welt gelegt, sondern als Implantat direkt ins Hirn eingespielt werden könnten? Das Leben nach dem Tod, verschiedene Realitätsebenen, skrupellose Onlinejournalisten, sexuelle Perversionen - manches davon wird in der aktuellen Staffel nur angerissen, anderes hintergründig beleuchtet.

Die verschiedenen Regisseure, die Brooke für die zwischen 60 und 90 Minuten langen Folgen verpflichtet hat, geben jeder Episode eine eigene Färbung. Gemeinsam ist allen jedoch die recht düstere Grundstimmung, angereichert mit teils derbem britischen Humorverständnis. Es geht um Leben und Sterben, fragile Beziehungen und abgrundtiefen Hass. Harte Nerven sind auf jeden Fall von Vorteil, subtile Anspielungen und Gewaltlosigkeit gehören eher nicht zum Konzept der Serie. Aber wer »Game of Thrones« oder »The Walking Dead« gesehen hat, ohne sich die Augen zuhalten zu müssen, kann sich bei manchen Episoden von Black Mirror fast schon entspannen. Komplizierte Personengefüge und verworrene Handlungsfäden muss man sich ebenfalls nicht merken, jede Folge hat ihren eigenen Darstellerkreis. Die Episodenfilme spielen an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichsten Gesellschaftssystemen. Wer also keine Cliffhanger, aber dafür Science Fiction und dystopische Erzählungen mag, ist bei »Black Mirror« gut aufgehoben.

Teils sind die Stories zwar nicht ganz bis zu Ende gedacht, doch jede einzelne hallt lange nach und ermöglicht so eine Reflexion des eigenen Onlineverhaltens und eine tiefergehende Debatte über die Verflechtung von Mensch und Technik und vor allem den Bildschirm als Spiegel der heutigen Gesellschaft. Am Ende steht die für viele inzwischen größte Horrorvorstellung von allen: wenn der Bildschirm schwarz bleibt.

Verfügbar bei Netflix

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal