Der Geist, den sie gerufen haben

Wurden die US-Demokraten Opfer der eigenen Medienstrategie?

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Katerstimmung nach der US-Wahl fragen sich die großen Medien dies- und jenseits des Atlantiks: Wie konnte DAS nur passieren? Doch eigentlich müssten die Redakteure auf der Suche nach Erklärungen nur in den eigenen Medienprodukten nachsehen. Denn es gibt eine Zahl, die viele Aspekte des »unvorhersehbaren« und »irren« Aufstiegs des neuen US-Präsidenten Donald Trump zu erhellen vermag: Auf zwei Milliarden US-Dollar beziffert eine Studie den Gegenwert der Trump gratis zur Verfügung gestellten Wahlkampfberichterstattung.

Über die angebliche Witzfigur wurde laut der Untersuchung des US-Mediendienstes MediaQuant häufiger berichtet als über alle anderen Kandidaten zusammen, seine republikanischen Mitbewerber überflügelte Trump gar mit bis zu zehnfacher Medienpräsenz. Donald Trump wurde von den Medien vorübergehend so exzessiv hofiert, dass der angebliche Selfmade-Milliardär praktisch kein eigenes Geld in die für andere Kandidaten überlebenswichtigen TV-Spots investieren musste, ja sogar lange auf Kriegskassen der »Super-PACs« (Lobbygruppen) verzichten konnte.

Kaum stand Trump jedoch als Konkurrent der Demokratin Hillary Clinton fest, wendete sich das Blatt radikal: Aus der Trump-Hofberichterstattung selbst »liberaler« Medien wie »CNN« oder »MSNBC« wurde schlagartig jener extrem einseitige Pro-Clinton-Feldzug aller großen US-Medien, den man in den letzten Wochen ertragen musste. Selbst die radikalen Rechtspropagandisten von »Fox-News« wechselten dafür vorübergehend ins demokratische Lager.

Betrachtet man diese Entwicklungen, so ergibt sich als mögliches Bild: Donald Trump wurde als Schreckgespenst zunächst absichtsvoll von vielen Medien aufgebaut und sein Sieg in den Vorwahlen medial abgesichert. Als er diese gewonnen hatte, versuchten die gleichen Medien, ihr eigenes »Produkt« wieder kaputtzuschreiben. Diese Strategie ist gerade krachend gescheitert. Doch gab es diese Strategie überhaupt? Für eine Antwort muss man sich einem anderen Phänomen des endlich ausgestandenen US-Wahlkampfes zuwenden - den gehackten und von Wikileaks veröffentlichten E-Mails aus dem Zentrum der Demokratischen Partei. Zwei Dinge gehen aus dem Studium dieser Mails hervor: Zum einen, dass es einen beunruhigend direkten Draht der Parteiführung in die wichtigsten Chefredaktionen der USA gibt, dass eigene Geschichten dreist in Medien platziert werden, dass Listen mit Dutzenden »befreundeten« Journalisten erstellt wurden, die fürs eigene politische Narrativ eingespannt werden können, und dass die größten US-Medienkonzerne gleichzeitig zu den größten Spendern sowohl der Clinton-Kampagne als auch der Clinton-Stiftung gehören, wie das Medium »The Intercept« und viele andere unter Berufung auf die E-Mails berichteten.

Zum anderen zeigen die geleakten Dokumente der Demokraten die fatale Strategie, bei den republikanischen Konkurrenten die »Freaks« zu stärken, um im Vergleich umso heller zu strahlen. In Mails der demokratischen Wahlkampfstrategen wurde solch ein Vorgehen schon 2015 offen diskutiert, nachdem intern festgestellt wurde, dass Clinton gegen einen »normalen« Konkurrenten chancenlos wäre: »Zwingen wir die Republikaner, sich in extremen konservativen Positionen zu verrennen«, wird darum als Medienstrategie empfohlen. Und wörtlich: »Wir müssen die ›Rattenfänger‹ nach oben bringen«, so die brutal offene Empfehlung, die dann anscheinend (mit tragischem »Erfolg«) umgesetzt wurde. Als potenziellen und nützlichen »Rattenfänger«, neben dem Clinton gerade noch eine gute Figur machen könnte, machten die Demokraten damals namentlich aus: Donald Trump.

Zusammengefasst zeigen die Mails den potenziell direkten Einfluss der Demokraten auf viele große US-Medien - und das offene Vorhaben, die »Freaks« der Gegenseite medial zu stärken. Als Ergebnis sieht man eine extreme Medienpräsenz des »Freaks« Trump. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier Ursache und Wirkung zu erkennen.

Während des Wahlkampfs wurden Berichte über die gehackten E-Mails teils als Trump-Propaganda wahrgenommen. Davon sollte man sich nun lösen, um das aufklärerische Potenzial des Leaks nutzen zu können, der einmalige Blicke in die Mechanismen der Macht (auch unabhängig von der Demokratischen Partei) gewährt. Zumal wohl niemand glaubt, dass ausgerechnet die US-Republikaner und ihre legendär-skrupellosen Spindoktoren wie Karl Rove keine dreckigen politischen Tricks anwenden.

Eigentlich sollten diese (unabhängig von jeder Parteipolitik) für das Verständnis des politischen Grabenkampfes höchst aufschlussreichen Dokumente Pflichtlektüre in den Journalistenschulen sein: als Vorbereitung auf die Begehrlichkeiten der Politik und zur Austreibung einer allzu naiven Vorstellung von der westlichen Demokratie.

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