Verhängnisvolles Smartphonespiel

Zwölf Tote, 89 Verletzte nach Unglück von Bad Aibling - Fahrdienstleiter vor Gericht

  • Ralf Isermann, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab Donnerstag muss sich der zur Unfallzeit zuständige Fahrdienstleiter vor dem Landgericht Traunstein verantworten. Der 40 Jahre alte Mann soll fatale Fehlentscheidungen getroffen haben, weil er von einem Handyspiel abgelenkt war.

In Bad Aibling erinnert seit einem Monat ein drei Meter hohes Tor aus Eisen an das Unglück. »Ohne Zweifel war das der traurigste Faschingsdienstag in der Geschichte unseres Landes«, sagte Bayerns Vizeministerpräsidentin Ilse Aigner (CSU) zur Einweihung. Dabei kamen bei Angehörigen und Rettern die Erinnerungen an den 9. Februar 2016 wieder hoch.

Dies dürfte ab Donnerstag noch intensiver werden: Dann sitzen die zum Teil als Nebenkläger am Prozess beteiligten Opferangehörigen zum ersten Mal dem nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Alleinverantwortlichen für das Unglück gegenüber.

»Ich möchte dieser Person einmal in die Augen schauen«, sagte ein schwer geschädigter 18-Jähriger dem »Münchner Merkur«. Er musste als Folge seiner körperlichen Dauerschäden seine Ausbildung aufgeben.

Der aus Rosenheim stammende Michael P. ist wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt, ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Unmittelbar nach dem Unfall war der Familienvater noch auf freiem Fuß geblieben. Doch zwei Monate später kam er ins Gefängnis, wo er seitdem in Untersuchungshaft auf seinen Prozessbeginn wartet.

Anlass für die Festnahme im April war die Auswertung des Handys des als sehr erfahren geltenden Bahnbeschäftigten. Auf dem Smartphone stellten die Ermittler laut Anklage fest, dass P. eine knappe halbe Stunde nach seinem um 4.45 Uhr begonnenen Dienst das Fantasy-Handyspiel »Dungeon Hunter 5« startete und dies danach fast 90 Minuten lang spielte.

Dass der Mann das Spiel nicht einfach im Hintergrund laufen ließ, wollen die Ermittler in ihrer Anklage minutiös belegen. Um 6.38 Uhr habe P. einen Krieger rekrutiert, um 6.40 Uhr etwas gekauft. Parallel zu den Spielaktionen stellte der Fahrdienstleiter laut Staatsanwaltschaft die Weichen so, dass beide Züge sich auf einem Gleis befanden und aufeinander zufuhren. Die technischen Schutzvorkehrungen, die dies verhindern sollten, hatte der Angeklagte durch Sondersignale umgangen. Erst 6.45 Uhr und 59 Sekunden beendete P. das Spiel den Ermittlern zufolge. Von dem Moment an blieben nur 61 Sekunden bis zum frontalen Zusammenstoß. Kurz nach Spielende merkte P. zwar seinen Fehler und gab per Notruf den Befehl: »Züge sofort anhalten.« Doch in seiner Hektik schickte er das Signal nicht in die Züge, sondern an andere Streckenposten. Der Zusammenprall war nicht mehr zu verhindern.

An sieben Prozesstagen bis 5. Dezember will der Vorsitzende Richter Erich Fuchs verhandeln. Wesentliche Zeugen sind Sachverständige. Deren Gutachten könnten eine Antwort auf die Frage geben, warum ein einzelner Mensch so verschiedene Fehlentscheidungen treffen konnte und ob nicht auch das Sicherheitssystem der Bahn eine Mitverantwortung trägt. AFP/nd

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