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Ein Feuerchen in Leipzig-Leutzsch

Das Leipziger Derby bleibt weitgehend friedlich, Gastgeber BSG Chemie unterliegt dem 1. FC Lok mit 0:1

  • Ullrich Kroemer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Feuerchen vor dem umgestürzten Klohäuschen im Gästeblock brannte noch, als die Sonne über dem inzwischen leeren Alfred-Kunze-Sportpark in Leipzig-Leutzsch unterging. Nun gehört ein Lagerfeuer nicht in ein Fußballstadion. Doch angesichts der Befürchtungen, die es vor dem Leipziger Derby zwischen der BSG Chemie und dem 1. FC Lokomotive gegeben hatte, wirkte das Lagerfeuer, das die Lok-Fans an diesem kalten Novembernachmittag entzündet hatten, regelrecht friedlich.

Die Trainer beider Klubs, Dietmar Demuth und Heiko Scholz, saßen nach der Partie in der gläsernen Veranda über der Geschäftsstelle, von der man einen schönen Blick auf die Szenerie hatte. Nach dem 1:0 -Auswärtssieg des 1. FC Lok im Viertelfinale des sächsischen Landespokals waren Demuth (141 Bundesligapartien als Spieler) und Scholz (159 Erstligaeinsätze) vor allem erleichtert, dass es an diesem Nachmittag auf den Rängen weitgehend friedlich geblieben war. »Großes Lob an Chemie und Lob an beide Fangemeinden«, sagte Lok-Trainer Scholz. »Wir haben heute gesehen: Chemie und Lok hauen sich eben nicht nur auf die Mütze - so muss es sein.« Sein Kollege Demuth sagte: »Wir haben Fußball-Deutschland gezeigt, dass es hier nicht nur Chaoten gibt, sondern dass wir ein Fußballfest feiern können.«

Weder vor dem Spiel, noch im Stadion selbst und auch nach Ende der Begegnung hatte es gravierende Zwischenfälle gegeben. Das war angesichts des Hasses beider Fangruppierungen aufeinander durchaus eine gute Nachricht. Dass es unter den 4999 im Stadion - darunter 750 von Lok - ruhig geblieben war, war auch das Verdienst des gewaltigen Polizeiaufgebots, das die Partie absicherte. Mehrere Hundertschaften - von 1200 Einsatzkräften war die Rede - waren im Einsatz. Wasserwerfer und Panzerwagen fuhren zwischen den Einfamilienhaus-Siedlungen in Leutzsch auf. Für das Spiel eines Fünftligisten gegen die Gäste aus der viertklassigen Regionalliga ein gewaltiger Aufwand.

Jeder Passant musste bereits etwa einen Kilometer rund um das Stadion seine Eintrittskarte vorzeigen. Wer keine hatte und, durfte das Gebiet nicht betreten, außer er war Anwohner. Fans der Gäste aus Probstheida wurden mit Shuttlebussen zum Stadion transportiert - strengste Fantrennung. Lok-Problemfans mit Stadionverbot waren von Ordnungsamt und Polizei mit einem Aufenthaltsverbot für das Gebiet rund um das Stadion belegt worden.

So blieb ein mit grünem Schmierfett gestrichenes Geländer im Gästeblock der größte Zwischenfall. Lediglich verbal und mit Spruchbändern und Transparenten lebten beide Fangruppierungen den Hass aufeinander aus, den es auch aufgrund der unterschiedlichen politischen Einstellungen gibt. Die Lok-Fans zeigten ein Plakat mit der Aufschrift »Good night green white«. Darauf ist ein stilisierter Kampfsportler mit der Aufschrift NS zu sehen, der einen am Boden Liegenden tritt, der einen Stern trägt. Ein Plakat gehört der Fanszene Lok, einer Nachfolgeorganisation der verbotenen Neonazi-Gruppierung Scenario Lok. Zudem zeigten die Lok-Fans Spruchbänder mit der Aufschrift »Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher«. Der Spruch war erst im Sommer per Stadionordnung verboten worden. Das wurde von den Leutzschern mit »Nazischweine«-Rufen quittiert. »Hängt sie von der Brücke«, skandierte die Fanszene Lok - ein klarer Verweis auf das geschmacklose Aufhängen grüner Puppen im Vorfeld der Partie. Immer wieder rüttelte ein Teil der blau-gelben Anhänger wie wilde Tiere an den Zäunen ihrer Blocks.

Darüber hinaus war die Kulisse jedoch durchaus stimmungsvoll. Die BSG-Anhänger priesen den FDGB-Pokal und die Meisterschaft - ein angenehmer Kontrast zum Bundesligafußball, der ein paar Kilometer weiter stadteinwärts von RB Leipzig geboten wird.

Spielerisch war die Partie kein Leckerbissen. Doch der Tabellenzweite der Oberliga stand gegen den Regionalligisten kompakt und ließ kaum Chancen zu. Ein Klassenunterschied war nicht zu erkennen. Nach einer Roten Karte gegen Steffen Fritzsch (60.) nur noch zu zehnt wurde Lok plötzlich besser. Torschütze Hiromu Watahiki brachte mehr Struktur ins Spiel und erzielte schließlich in der Verlängerung mit einem Distanzschuss das Tor des Tages (116.). Dass nach diesem Derby überhaupt von Sportlichem die Rede war, ist wohl der größte Erfolg des Nachmittags.

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