Mit Recht vorangehen

  • Felix Wiesner
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast immer hinkt das Recht den gesellschaftlichen Verhältnissen hinterher. Ganz besonders im Bereich der gerechten Behandlung von sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten. Dabei geht es unter anderem um die gesetzliche Gleichstellung von Homo-Ehen, Wiedergutmachungen für verfolgte Homosexuelle und Modernisierungen im Namens- und Personenstandsrecht.

Auf dem »Wir lieben Alice Summit«, der am vergangenen Wochenende in Köln stattfand, treffen sich deshalb jährlich lesbische, schwule, bisexuelle, trans*- und intersexuelle Jurastudierende, Referendar*innen und Jurist*innen. Neben Vorträgen, die auf Diskriminierungen in der Jura-Szene eingehen, und Vernetzungsrunden gibt es auf dem Kongress auch eine Art Kurzmesse, an der sich zwölf Kanzleien und Unternehmen beteiligten und zum Gespräch über berufliche Chancen durch Diversität einluden. Damit greifen die Veranstalter*innen ein erfolgreiches Modell aus den Vereinigten Staaten auf, wo bei einer vergleichbaren Vernetzungsveranstaltung, der Lavender Law Conference & Career Fair, über 2000 LSBTI-Jurist*innen zusammenkommen. Für den Organisator des deutschen Pendants, Stuart Cameron, ist das Ziel, einen Anlaufpunkt innerhalb einer Branche zu schaffen, der Menschen, die andernorts für ihre Orientierung diskriminiert zu werden, das Berufsleben erleichtert. Die Gefahr des sogenannten Pinkwashings, dem Fall, dass sich Unternehmen nur ihres Profits und Rufes wegen für LSBTI-Menschen öffnen, findet Cameron abwegig. Nur die wenigsten Unternehmen und Kanzleien machten so etwas in Deutschland bereits, in vielen fänden sich dagegen homophobe Vorurteile. Wenn sich Diskriminierungsfreiheit innerhalb der juristischen Zunft verbreitete, dann sei das sehr zu befürworten.

Das gilt auch, weil es gerade Jurist*innen sind, die es als Anwält*innen und Richter*innen in strategischen Verfahren, oder als Referent*innen in Ministerien in der Hand haben, die geltende Rechtslage zu beeinflussen. Das zeigt auch die Geschichte des Rechtsbereichs. Drei Jahre vor Erlass des Transsexuellengesetzes (TSG) 1981 gestand das Bundesverfassungsgericht in einem Beschwerdeverfahren Trans*personen die Eintragung eines neuen Geschlechts und Namens nach einer geschlechtsanpassenden Operation zu. Das Gericht forderte vom Gesetzgeber eine Regelung, die dann in Form des TSG erfolgte und erklärte in seither neun Verfassungsbeschwerden den größten Teil des Gesetzes wieder für verfassungswidrig, weil noch immer diskriminierend.

Das Führen solcher strategischer Klagen bleibt auch heute ein zentrales Instrument, um die Rechtslage zugunsten der Betroffenen zu verändern. Das versucht unter anderem die Kampagne »Dritte Option«. Sie reichte kürzlich Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen das Fehlen einer Geschlechtseintragsoption »inter/divers« ein. Kampagnensprecher Moritz Schmidt ist optimistisch. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit fast allen Anliegen von Beschwerdeführenden stattgegeben und die Geschlechtsidentität zum Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit Grundrechtsrang erklärt. So bleibt die Hoffnung aktiver LGBTI-Jurist*innen, das Verhältnis von Gesetz und gesellschaftlichen Verhältnissen durch strategische Verfahren umzukehren. Die Realität könnte dann auf diesem Gebietdurch vorauseilendes Recht umgekrempelt werden.

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