nd-aktuell.de / 25.11.2016 / Kultur / Seite 17

Ich will selber krank werden

Alben von und mit Max Rieger: das Soloprojekt All diese Gewalt und die Band Friends Of Gas

Thomas Blum

Das konservative, behäbige Stuttgart ist nicht der erste Ort, an den man denkt, wenn es um neuere Entwicklungen in der Popmusik geht. Eher kommen einem ganz andere Dinge in den Sinn: Kehrwoche, Kässpätzle, die allsamstägliche Automobilpflege als Lebenssinn und Bürgersteige, von denen man Spiegeleier essen kann.

Aus Stuttgart stammt allerdings auch die Noiserock-Band Die Nerven, deren Bemühungen, mit sägenden Gitarren und Stakkato-Schlagzeug so zu klingen wie Gang Of Four auf Speed, erfolgreich sind.

Max Rieger, der mittlerweile nach Leipzig umgezogen ist, ist der Sänger und Gitarrist bei den Nerven, und er ist so etwas wie der Spiritus rector der Württembergischen Neo-Postpunk-Szene. Unter dem schönen Namen All diese Gewalt macht er auch solo eine betörende Musik, einen mit traumwandlerischer Sicherheit durch ein ganzes Meer von zarten Tönen und Geräuschen mäandernden, fülligen, dunkel raunenden, hypnotischen Shoegaze-Pop. Jeder Track hat Hunderte von Tonspuren, die Rieger allesamt selbst eingespielt hat. Jens Balzer nennt diese Musik einen »dunkelbunt funkelnden Strauß aus Geräuschen, Drones, Vogelgezwitscher und wundervollen Melodien« bzw. »die zeitlos gegenwärtigste Musik, die wir derzeit besitzen«. Recht hat er.

Das Debütalbum des Münchner Quintetts Friends Of Gas wiederum, aufgenommen unter der Regie eben jenes oben genannten Max Rieger, hört sich an, als könne es auch Anfang der 80er Jahre von den frühen Sonic Youth eingespielt oder von Steve Albini produziert worden sein: ein wuchtiger, ruppiger, rückkopplungsgesättigter, aber cleaner, trockener Noiserock, irgendwo zwischen Post-Punk und Post-Hardcore. Ein minimalistisch, druckvoll und stoisch arbeitendes Gespann aus Bass und Schlagzeug, das wacker voranrumpelt, hart, unnachgiebig. Die Gitarre klingt zeitweise, als würde sie mit Messer und Gabel bearbeitet. Und die heiser klingende Sängerin röhrt dazu »Parolen des Nihilismus, der Verweigerung, der Auslöschung« (»Taz«). »Es ist bald Abend / Als nächstes will ich selber krank werden / Und zwar am Toten Meer.«

Auch hier grüßt also das Jahr 1981 erkennbar von ferne: ein bisschen Endzeit, ein bisschen offensive Rotzigkeit, ein bisschen gesundes, selbstbewusstes Mir-doch-alles-egal-Gefühl. Es war im Grunde alles schon mal da, auch der zerklüftete, zermürbende Krachrock dieser Spielart. Was allerdings die Kollegen von »Spiegel Online« nicht davon abhält, den Stahlhelm aufzusetzen und in der Redaktionsstube triumphierend auf- und abzumarschieren: »Eine solche Urgewalt ging lange nicht von einer deutschen Band aus.« Wie schrieb derweil das Magazin »Intro« so schön? Eine Musik »für depressive Schlauköpfe« sei das.

An einer Stelle werden auch die Fehlfarben zitiert, womit wir schon wieder im Jahr 1981 wären. Nur dass in der vollständig verwalteten Welt kein Fortschritt mehr möglich ist. Denn die anderen haben schon lange gewonnen: »Es geht voran / Geschichte wird gemacht / Doch nicht von mir / Und nicht von Dir.«

All diese Gewalt: »Welt in Klammern« (Staatsakt / Caroline)

Friends Of Gas: »Fatal schwach« (Staatsakt / Caroline)