Im Reich des Schokoladenkönigs

Mit der Ausstellung »Wir nennen es Ludwig« feiert das Museum Ludwig in Köln seinen Geburtstag

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 5 Min.

Moderne Kunst ist eine schwierige Sache. Nicht jeder Betrachter versteht unmittelbar und sofort die Intention des Künstlers. Manchmal erfrischend direkt, manchmal rätselhaft, zumeist aber vielsagend vieldeutig präsentieren sich auch die Werke in der Kölner Jubiläumsausstellung »Wir nennen es Ludwig«. Das fängt schon im Eingangsbereich an: Ein Müll- bzw. Gerümpelhaufen türmt sich dort auf, mit umgekippten Autos, Reifen, Brettern, Gittern und Zäunen. Und - manchem Kunstkenner dürfte der Atem stocken - auch mit berühmten Gemälden mit Millionenwert aus den Beständen des Museums. Zum Beispiel das Köln-Panorama von Oskar Kokoschka. Oder ein legendäres Gemälde von Andy Warhol, das den Stifter des Museums, Peter Ludwig, zeigt. Ist moderne Kunst nichts anderes als Müll? Das mag mancher Betrachter denken. Oder auch: Ludwig gehört auf den Schrotthaufen. Die Intention des Künstlers war eine andere.

Mit der Installation »Bakunin’s Barricade« fragt der 35-jährige Ahmet Ögut aus der Türkei nach der Rolle der Kunst bei aktuellen gesellschaftlichen und politischen Konflikten. Seine »Barrikade« greift auf ein historisches Ereignis zurück: Im Mai 1849 wollten Aufständische in Dresden König Friedrich August II. entmachten und die Sächsische Republik ausrufen. Ihr Anführer Michail Bakunin hatte die Idee, wertvolle Gemälde aus der Dresdner Kunstsammlung auf den Barrikaden zu platzieren, um den Truppen des Königs Einhalt zu gebieten.

Der nicht gerade zimperliche Zugriff auf die Bestände des Museums war gewollt. Ahmet Ögut tat damit das, was Museumsdirektor Yilmaz Dziewior als Intention der Jubiläumsausstellung bezeichnet. »Die Künstler sollen mit der Sammlung arbeiten. Dadurch sehen wir unsere Sammlung, die den Kern des Museums bildet, aus einem neuen Blickwinkel. So werden neue Facetten des ›alten Ludwig‹ sicht- und erlebbar«.

Der ›alte Ludwig‹ - eine Übertreibung? Das Museum wird doch erst 40 Jahre alt. Für ein Menschenleben fast noch jung. Für zeitgenössische Kunst dagegen sind 40 Jahre wirklich schon ein hohes Alter. Gefeiert wird der 40. Jahrestag eines Schenkungsvertrages zwischen dem Sammler-Ehepaar Irene und Peter Ludwig und der Stadt Köln aus dem Jahr 1976. Damals vermachte der Schokoladen-Unternehmer und Sammler moderner Kunst, Peter Ludwig, 350 Werke seiner privaten Kunstsammlung der Stadt am Rhein. Dazu gehörten Werke der damals noch unbekannten oder belächelten amerikanischen Pop-Art-Künstler Andy Warhol, Claes Oldenburg und Roy Lichtenstein. Manche ihrer Werke werden heute im zweistelligen Millionenbereich gehandelt.

Ganz selbstlos handelte der »Schokoladenkönig« nicht: Als Gegenleistung sollte, wollte und musste die Stadt Köln ein neues Museum in prominenter Lage bauen und es nach dem Stifter benennen. So entstand ein riesiger Gebäudekomplex neben Dom und Hauptbahnhof, der städtebauliche Akzente setzte. 1986, vor 30 Jahren, konnte das Museum Ludwig, damals noch vereint mit dem älteren städtischen Kunstmuseum Wallraf-Richartz, das Gebäude beziehen. Seit 2001 residiert das Museum allein im Bau von 1986, der zu einem Markenzeichen der Stadt geworden ist.

Von Beginn an fanden das »Ludwig« und die dort gezeigte Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts nicht nur Zustimmung. Protestaktionen begleiteten sowohl die Schenkungsvertragsunterzeichnung vor 40 Jahren als auch die Gebäudeeröffnung vor 30 Jahren. Auch diesen Aspekt der Geschichte seines Hauses berücksichtigt Museumsdirektor Dziewior in der Jubiläumsausstellung. Die 25 eingeladenen internationalen Künstler sollen »25 Blicke auf die Institution Ludwig« präsentieren. Deshalb beteiligen sich auch die als »Institutionskritiker« bekannten Künstler Hans Haacke und die »Guerilla Girls« aus New York mit Werken und Auftritten an der Jubiläums-Schau.

Besonders über die 14-teilige Arbeit »Der Pralinenmeister« des in New York lebenden deutschen Konzept-Künstlers Hans Haacke wären die Stifter Peter und Irene Ludwig nicht erfreut gewesen. Sie hätten das Werk in »ihrem« Museum niemals ausgestellt. Denn Haacke zeigt in seiner akribisch recherchierten Dokumentation von 1981, wie es um die Arbeitsbedingungen und Lohnzahlungen in den zahlreichen Fabriken des Schokoladenunternehmers Ludwig aussah, welche Vermögens- und Erbschaftssteuervorteile sich der Unternehmer Ludwig verschaffte und wie Irene und Peter Ludwig Einfluss auf Kultur und Politik ausübten.

Institutionskritik üben auch die anonym bleibenden, weil stets mit Gorillakopfmasken auftretenden »Guerilla-Girls« aus New York. Auf einem ca. 20 x 15 Meter großen Poster an einer Außenwand des Museums nennen sie knallhart, ja, fast schon derb »Die Vorteile, ein eigenes Kunstmuseum zu besitzen«. So etwa: »Sie entscheiden darüber, was das Museum sammelt und ausstellt ...«, »Auf schicken Kunstmessen, Partys und Biennalen kriecht Ihnen jeder in den Hintern - und in die Brieftasche!«, »Für Ihre enormen Schenkungen kriegen Sie enorme Abschreibungen ... und jeder denkt, Sie wären ein unglaublich großzügiger Wohltäter der Menschheit.«

Ob sich die verstorbenen Peter und Irene Ludwig beim Lesen dieser Aussagen »im Grab umdrehen« würden, bleibt ungeklärt. Klar ist, dass die Stadt Köln vor 40 Jahren tief in die Tasche greifen musste, um den 250 Millionen D-Mark teuren Philharmonie- und Museumsbau zu realisieren. Denn nur mit dem Versprechen, ein neues Museum zu bauen, konnte sie die Schenkung in Köln halten. Damals gab es schon Überlegungen der Stifter, ihre Sammlung moderner Kunst einer anderen Stadt anzubieten. Museumsdirektor Dziewior sieht sein Haus komplexer begründet als nur vom Sammler Ludwig her: »Aber Ludwig war ein Sammler, dem wir viel zu verdanken haben«.

»Wir nennen es Ludwig. Das Museum wird 40!«, noch bis zum 8. Januar im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln

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