Container statt Turnhallen für Geflüchtete

Protest vor Notunterkunft in Dahlem / Senat kündigt schnelle Verbesserungen an

  • Ellen Wesemüller und Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Alsharona Ibrahim klemmt sich das aufgerollte Transparent unter den Arm, in der Hand hält er ein Stück Papier. Ein offizielles Beweisstück, das zeigen soll, dass ihn diese Art der Unterkunft krank gemacht hat. »Ich habe Asthma bekommen von der Halle«, sagt Ibrahim auf deutsch. »Vorher war meine Gesundheit sehr gut.« Im Arztattest steht, eine »entsprechende Luftbelastung« wie in der Notunterkunft sei »zu vermeiden«.

Die Gesundheit ist nicht das einzige Problem. Ibrahim ist Politikwissenschaftler, er würde hier gerne weiter wissenschaftlich arbeiten. Er will Deutsch lernen, übt für den Integrationskurs. »Ich sollte lernen können, aber das geht nicht.« Es ist einfach zu laut. Nicht nur, weil auch Familien mit kleinen Kindern in der Sporthalle im Hüttenweg 43 untergebracht sind. Auch sie stehen heute mit Transparenten an der Straße.

Zeitgleich, einige Kilometer weiter, im Roten Rathaus: »Die Leute gehen auf dem Zahnfleisch«, sagt die neue Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE). »Die Gewalt nimmt zu, es kommt zu Drogen- und Alkoholexzessen.« Dies sei die Situation in den berlinweit 38 Turnhallen, in denen noch rund 2800 Menschen untergebracht seien. »Wir müssen dieses Elend wirklich beenden.« Breitenbach kündigt ein gemeinsames Vorgehen mit Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) an.

»Bis Ende des Jahres wird es baulich ausreichend Kapazitäten geben, um alle Turnhallen freizuziehen«, sagt Kollatz-Ahnen. Breitenbach ergänzt: »Leerstehende Tempohomes sollen nach den Regeln der Gefahrenabwehr belegt werden.« Das heißt übersetzt: Wegen der aktuellen Notlage beruft sich die Senatorin auf das Polizeigesetz (ASOG), um langwierige Ausschreibungen für Tempohomes zu umgehen - jene Containerunterkünfte, die dafür ausgelegt sind, drei Jahre lang bewohnt zu werden.

Bisher scheiterte die Belegung an mangelhaften Ausschreibungsverfahren des zuständigen Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Das soll nun über weitere sogenannte Interimsvergaben gelöst werden. Zwei Wege können dafür beschritten werden. Erstens haben Sozialverbände ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, die Unterkünfte, die bisher nicht belegt werden konnten, zu betreiben. Zweitens sei auch der Hamburger landeseigene Träger »Fördern und Wohnen« bereit, in Berlin auszuhelfen. Damit könnten innerhalb kurzer Zeit die nötigen Kapazitäten bereitgestellt werden - für ein halbes Jahr mit einer Verlängerungsmöglichkeit um drei Monate.

Wann genau welche Turnhalle leergezogen wird, könne sie nicht sagen, so Breitenbach. Auf jeden Fall solle es nun wirklich schnell gehen. Parallel werde an einem Vergabeverfahren gearbeitet, auch dabei helfe die Finanzverwaltung.

Doch Turnhallen sind nicht die einzigen Notunterkünfte - in Hangars und anderen temporären Heimen sind noch einmal 20 000 Geflüchtete untergebracht. Für eine dauerhafte Lösung müsste auch das LAF funktionieren, momentan sind aber 170 der insgesamt 550 Stellen nicht besetzt. »Es gibt nicht mal ausreichend Personal, um Personal einzustellen«, erklärt die Sozialsenatorin das Dilemma. »Die Leute arbeiten über viele Jahre wirklich am Limit, unter furchtbaren Arbeitsbedingungen.« Der Engpass soll möglichst schnell unter anderem mit Sammeleinstellungen von nicht spezialisierten Verwaltungskräften behoben werden.

Bisher wurden fertiggebaute Unterkünfte lange Zeit nicht abgenommen. Auch das soll sich nun schnell durch einen »pragmatischen Umgang« ändern, wie Kollatz-Ahnen sagt. Weiterhin sei der Bau neuer Tempohomes unumgänglich, um die Unterbringungssituation weiter zu verbessern.

Containerunterkünfte, Modularbauten sowie umgebaute Verwaltungsgebäude sollen fertiggestellt werden. Bis Ende Dezember sollen so 3500 Plätze entstehen. Dann müssten Flüchtlinge tatsächlich nicht mehr in Turnhallen hausen.

Das würde auch Saleen freuen. Die Zehnjährige ist seit einem Jahr im Hüttenweg untergebracht, zusammen mit ihren Geschwistern, Cousins und ihrer Oma. Die ist 88 Jahre alt, das jüngste Kind ist 15 Monate. »Wir können nicht schlafen, es gibt immer Ärger, wir haben Angst«, sagt Saleen. Veronika Großmann, die Leiterin der Notunterkunft, schaut beim Plakatemalen zu. »Ich kann das nachvollziehen«, sagt sie über den Protest. »Setzen Sie mal 140 Deutsche in so eine Unterkunft. So viele Menschen auf so engem Raum - das ist schwierig über so eine lange Zeit.« Die Prognose sei, dass die Menschen hier im März in ein Containerdorf an der Lissabonallee ziehen können. Ob sie daran glaube? »Ich glaube an den lieben Gott«, sagt Großmann.

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