Die AfD ist krasser als die NPD erlaubt

Abgeordnete aus Baden-Württemberg wirft der Rechtspartei nach ihrem Austritt zunehmende rechte Stimmungsmache vor

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn eine Landtagsfraktion der AfD innerhalb von zwei Tagen gleich mehrere Presseerklärungen betreffend der gleichen Personalie herausgibt, dann ist das kein gewöhnlicher Vorgang. In Baden-Württemberg war die Rechtspartei nach den monatelangen Querelen um den Antisemitismus des Abgeordneten Wolfgang Gedeon und nach der daraus resultierenden vorrübergehenden Spaltung der Landtagsfraktion gerade etwas zur Ruhe gekommen, da reißt ein Rücktritt die noch frischen Wunden wieder auf. Nach nur sechs Monaten kündigte die Abgeordnete Claudia Martin per Youtube-Video ihren Rückzug aus Fraktion und Partei an. Ihre Begründung wirkt wie eine verspätete Einsicht: Martin wirft der AfD vor, sich zu wenig gegenüber rechten Positionen abzugrenzen.

Die inhaltliche Arbeit bestehe im Wesentlichen nur noch aus Parolen gegen Geflüchtete und den Islam. »Mit dem Einzug der AfD in immer mehr Landesparlamente und dem beginnenden Bundestagswahlkampf mache ich die Beobachtung, dass wir immer weniger differenzieren, sondern langsam das werden, was man uns schon immer vorwirft: rechtspopulistisch«, so Martin in ihrem Video.

Besonders scharf geht die nun parteilose Abgeordnete mit Fraktionschef Jörg Meuthen ins Gericht. Dieser versuche, den bundesweit für Schlagzeilen sorgenden Mord an einer Freiburger Studentin im Sinne der AfD auszuschlachten. Tatsächlich positioniert sich der Co-Bundesvorsitzende inzwischen immer weiter rechts. So sagte Meuthen nach dem Mord: »Wir sind erschüttert von dieser Tat und erleben gleichzeitig, dass unsere Warnungen vor der ungesteuerten Einreise Hunderttausender junger Männer aus patriarchalisch-islamischen Kulturkreisen als populistisch abgewertet wurden«, um dann gleich die Forderung aufzustellen, polizeiliche DNA-Proben nach Ethnien zu ordnen. Dass dies nach bisheriger Rechtslage unzulässig ist, nannte Meuthen skandalös. »Das lehne ich ab«, erklärt dagegen Martin.

Überhaupt beobachte sie, dass sich die Partei immer flüchtlingsfeindlicher verhalte. »Bei der AfD gibt es Papiere in den Schubladen«, so die Abgeordnete gegenüber der FAZ, »die sind krasser als das, was die NPD früher wollte.« Konkret gehe es um ein Positionspapier zur Flüchtlingspolitik. Darin werde unter anderem gefordert, Asylsuchende in Sonderlagern zu kasernieren, um sie dort auf ihre künftige Rolle als Aufbauhelfer in ihrer Heimat vorzubereiten. Martin erklärte, sie erinnerten die Vorschläge an die Pläne der Nazis aus dem Jahr 1940, europäische Juden nach Madagaskar zwangsumzusiedeln.

Laut FAZ, der das AfD-Papier vorliegt, werde darin über harte Einschnitte in die Grundrechte der Asylsuchenden nachgedacht. So sollten für die Bewohner besagter Lager die Artikel zwei (freie Entfaltung), drei (Gleichbehandlung) sowie elf (Freizügigkeit) des Grundgesetzes nur eingeschränkt gelten. Ihr Leben fände zudem in »ethnisch homogenen« Gruppen statt. Martin hält die Vorschläge allesamt für grundgesetzwidrig.

In der Fraktion seien Abweichler in der Flüchtlingsfrage allerdings ungern gesehen, behauptet die gelernte Erzieherin. Als Beispiel nennt das Ex-AfD-Mitglied den Fall eines Abgeordneten, der sich aus »humanitären Gründen« für die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete aussprach, von der Fraktion allerdings einen Maulkorb verpasst bekommen haben soll.

Und wie reagiert die Rechtspartei auf den Rücktritt ihrer einstigen Mitstreiterin? Fraktionschef Meuthen keilte zurück, Martin habe zwar selbst oft Kritik ausgeteilt, hätte aber selbst »keinen kritischen Diskurs vertragen«, weshalb ihre Vorwürfe »pure Heuchelei« seien. Es sei offenkundig, dass Martin mit der »parlamentarischen Arbeit insgesamt überfordert« gewesen sei. Für »billige 15 Minuten Ruhm« habe sie nicht nur ihre Wähler hintergangen und solle deshalb ihr Landtagsmandat niederlegen. Diesen Schritt lehnt die Politikerin allerdings ab. In einer weiteren Mitteilung erklärte der Landesvorsitzende der Südwest-AfD, Lothar Maier, der »behauptete Rechtsruck bestehe ausschließlich in der Fantasie von Frau Martin«.

Die 46-Jährige will nun öffentlich darüber Auskunft geben, wie es um das Innenleben der Rechtspartei bestellt ist. Martin sitzt derzeit an einem Buchprojekt mit dem vielsagenden Arbeitstitel: »AfD - wir müssen reden. Insiderberichte einer Aussteigerin«.

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