Zähes Ringen um Einigung über Aleppo

Evakuierungen aus der umkämpften Stadt fortgesetzt / Tausende verlassen letzte Rebellengebiete

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Als alles vorbereitet war, wurden zur Abfahrt bereite Busse in Brand geschossen. Zwar ging es hier nicht um die Millionenstadt Aleppo, aus der Menschen am Sonntag endlich in sichere Gebiete gelangen wollten, sondern »nur« um Evakuierungen aus den beiden Orten Fua und Kafraja südwestlich von Aleppo bei Idlib in der Nähe der türkischen Grenze. Aber Fua und Kafraja sind Teil der Gesamtvereinbarung. Es sind größtenteils von Schiiten bewohnte Ortschaften, die von islamistischen Milizen beherrscht und entsprechend deren sunnitisch-fundamentalistischem Anspruch terrorisiert werden. Die iranischen Freiwilligenverbände, die auf Seiten der syrischen Armee kämpfen, hatten diese Aktion für Fua und Kafraja gefordert. In der Islamischen Republik Iran ist der Schiismus Staatsreligion.

Zwar hat sich offiziell niemand zum Beschuss der Busse bekannt, aber selbst die rebellenfreundliche türkische Seite geht davon aus, dass es sich hier um eine Wutreaktion der Regierungsgegner handelt, deren lokale Anführer offensichtlich übergangen worden waren. Dennoch ist die Aktion inzwischen wohl angelaufen, nachdem die syrische Regierung neue Busse hatte kommen lassen.

Was niemand bestätigen wird: Es hat darüber wohl eine russisch-türkische Verständigung gegeben. Zwar behauptet man in Ankara das genaue Gegenteil. »So sehen wir das nicht«, zitiert AFP einen Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums am Montag auf die Frage, ob die Türkei sich mit der Einnahme Aleppos durch die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit Unterstützung Russlands einverstanden erklärt habe, um dafür Aktionsspielraum für die Türkei im Norden Syriens zu gewinnen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum kokettiert ganz offen mit dem russisch-türkischen Agreement. Moskau vermerkt mit Genugtuung, dass die anklagenden Reden aus Deutschland und Frankreich, Russland wegen seiner »Kriegsverbrechen« in Syrien weltweit zu isolieren, offensichtlich an der Realität vorbeigingen. Mit deutlichem Bezug auf die französische Kontraposition gegenüber Russland in der Syrien-Frage bemerkte Lawrow am Montag in Moskau genüsslich, er wolle auch lieber »im Detail konkret mit denen reden, die real auf die Verbesserung der Lage in Syrien Einfluss nehmen können«.

Nun mögen praktisches politisches Verhalten das eine und Brandreden, um verbal irgendeiner Klientel gerecht zu werden, das andere sein. Im Moment scheint eine öffentliche Verständigung zwischen beiden zu Syrien jedenfalls kaum denkbar.

Das gilt in ähnlicher Weise für Deutschland. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU), gibt sich jedenfalls in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« sehr besorgt. Aleppo hin, Aleppo her: Röttgen argwöhnt in den russisch-türkischen Absprachen die Stadt und womöglich noch andere Räume des syrischen Schlachtfeldes betreffend, eine »der gefährlichsten Entwicklungen«. Zu befürchten sei »ein russisch-türkisches Arrangement« zur Beendigung des Krieges. Außerdem sei Assad sei eine »Figur, mit der es keinen Frieden gibt«. Offenbar ist die Angst im Westen groß, dass man bei den aktuellen Gesprächen zwischen Ankara, Moskau und Teheran in jeder Hinsicht draußen vor der Tür bleibt.

In Syrien freuten sich am Montag indessen weitere 3000 Menschen, dass sie mit 45 Bussen endlich aus den Rebellengebieten der Stadt gebracht werden konnten.

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