Deutsch-türkische Polizeikooperation geht weiter

Erdogan treibt Bürger zur Flucht - nach dem Putsch steigt die Anzahl der Asylanträge in Deutschland

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem Umsturzversuch Mitte Juli wurden in der Türkei rund 41 000 Verdächtige wegen mutmaßlicher Beteiligung an den Putschplänen oder wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Bewegung festgenommen. 80 000 Angestellte sind aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden, weil sie angeblich mit den Putschisten in Verbindung standen. 4300 Firmen und Institutionen wurden aus demselben Grund enteignet. Medien verloren Lizenzen, 2300 Journalisten ihren Job. Die Regierung baut in Ankara ein neues Gerichtsgebäude, da die existierenden nicht groß genug seien, um eine derart große Zahl von Angeklagten aufzunehmen.

Die Krise der Demokratie in der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan treibt offenbar immer mehr Menschen in die Flucht. Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 ist die Zahl türkischer Staatsbürger, die in Deutschland Asyl suchen, wieder spürbar gestiegen. Im August baten 762 Menschen um Schutz, 696 waren es im September, im Oktober, als die Bewegungsfreiheit vielen Türken und Kurden bereits extrem eingeschränkt war, kamen 597 Asylbewerber, im November wurden dann 702 registriert.

Nach einer Anfrage der Bundestags-Linksfraktion addierte die Regierung die Anträge und stellte fest: »Vom 1. Januar bis 30. November 2016 haben 5166 türkische Staatsangehörige in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Der Anteil kurdischer Volkszugehöriger betrug 76,4 Prozent.«

Insbesondere vor dem Hintergrund des EU-Türkei-Abkommens, in dem die Türkei als ein angeblich sicheres Drittland für Flüchtlinge ausgewiesen wird, haben die Asylgründe doch einige politische Brisanz. Vermutlich deshalb wird die Bundesregierung bei der Information über die bei den Anhörungen vorgebrachten Verfolgungsgründen recht einsilbig. Die Asylgründe, heißt es, »werden im Bundesamt statistisch nicht erfasst«. Und da das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur in Einzelfällen Erkenntnisse an den Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und das Bundeskriminalamt weitergibt, können auch diese Behörden über Fluchtmotive angeblich keine Auskunft geben.

Die Abgeordneten fragten auch nach Auslieferungsersuchen, die aus der Türkei eingegangen sind. In diesem Jahr seien - so vorläufige Zahlen - 52 eingegangen und 20 bewilligt worden, heißt es. Betont wird, dass seit dem Tag des Putsches keine türkischen Ersuchen positiv beschieden wurden. Ohnehin berücksichtige die Bundesregierung »im Rahmen des Auslieferungsverkehrs in jedem Einzelfall die rechtsstaatliche Situation sowie die Haftbedingungen in dem ersuchenden Land und trägt dem - ebenso wie bereits die Gerichte bei der Entscheidung über die Zulässigkeit - im Rahmen ihrer Entscheidung über die Bewilligung des Auslieferungsersuchens Rechnung«.

Trotz des fortgesetzten rüden Demokratieabbaus in der Türkei hat man in Berlin großes Interesse an einer guten Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden beider Länder. Insbesondere das für die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeidienststellen verantwortliche Bundeskriminalamt (BKA) hält den Kontakt. Im vierten Quartal, also nach der Niederschlagung des Putsches, war der Leiter der Generalsicherheitsdirektion aus Ankara beim BKA eingeladen. Eine ähnliche Begegnung ist für Anfang 2017 geplant. Dabei geht es, wie die Regierung ganz allgemein bestätigt, »um Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität«.

Kritik daran überhört man absichtsvoll, denn für das BKA und andere deutsche Polizeidienststellen geht es vor allem darum, Kontakte zu jetzt in der Türkei amtierenden Polizeiführern zu knüpfen. Seit dem Putsch beklagte das BKA einen herben Informationsverlust. Grund dafür ist die Massenentlassung auch von höheren Beamten in der türkischen Polizei und Justiz. In Deutschland laufende Ermittlungsverfahren wurden beeinträchtigt, weil wichtige Auskünfte ausblieben.

2015 hatte man in Deutschland noch rund 50 Verfahren mit Bezug zu türkischen Gruppierungen geführt, die in den Drogen- und Menschenhandel sowie Gewalt- und Wirtschaftskriminalität verwickelt waren. Die von Ankara weitgehend gekappte Zusammenarbeit betrifft aber auch Ermittlungen zu islamistisch motivierten Tätern.

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