»Unterschriften schaffen keinen Frieden«

Enrique Santiago Romero über das Abkommen zwischen FARC-Rebellen und Regierung in Kolumbien

  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Santiago, die deutsche Bundesregierung gehört neben Spanien zu den exponierten Unterstützern des Friedensprozesses in Kolumbien. Nun will Deutschland auch finanzielle Hilfen leisten. Ein gutes Zeichen?

Ja, denn nur in Deutschland wurde unter anderem ein Sonderbeauftragter der Regierung für diesen Prozess benannt, der Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Und soweit ich weiß, ist der Bundestag das einzige nationale Parlament in der EU, das eine - in diesem Fall von der Linksfraktion organisierte - Anhörung zum Friedensprozess organisiert hat.

Und das genügt?

Es ist auch wichtig, dass die deutsche Bundesregierung auf die Auflösung paramilitärischer Gruppen drängt und die mit dem Friedensabkommen geschaffenen Institutionen unterstützt, die helfen sollen, diese Strukturen aufzulösen. Es geht dabei nicht nur um die Paramilitärs selbst, sondern vor allem um ihre Financiers, Organisatoren und Anstifter.

Bei einer Anhörung im Bundestag hat ein Vertreter des Auswärtigen Amtes die deutsche Hilfe mit den Erfahrungen seines Landes bei der Bewältigung des Faschismus nach 1945 und der DDR nach 1990 verglichen. Sehen Sie diese Parallelen auch?

Nein, meiner Meinung nach ist es unhaltbar, das Nazi-Regime mit anderen politischen Systemen in der Geschichte zu vergleichen. Ich weiß, dass der Vergleich mit der DDR in Deutschland nicht unüblich ist, aber international wird das durchaus differenzierter gesehen. Trotz solcher Töne finde ich es positiv, wenn sich der deutsche Staat nun in den Friedensprozess in Kolumbien einbringt und im Justizbereich sowie bei der Betreuung von Binnenvertriebenen und anderer Opfergruppen hilft. Aber deutsche Regierungsvertreter sollten davon absehen, auf vermeintliche deutsche Errungenschaften bei der Aufarbeitung begangener Verbrechen zu verweisen. Denn neben dem Holocaust werden alle anderen von Nazideutschland begangenen Verbrechen nachhaltig verdrängt. Das ist natürlich kein Vorbild.

Aktivisten haben in der Vergangenheit stets auf die wirtschaftlichen Interessen der Industriestaaten in Kolumbien hingewiesen. Welche Bedeutung hat das für die Friedensfrage?

Ich denke, dass sich auch jeder andere Mitgliedsstaat der Europäischen Union im Friedensprozess engagieren würde, um dadurch unternehmerische oder allgemeinwirtschaftliche Vorteile in Kolumbien zu haben. So läuft das eben im Kapitalismus. Ich glaube aber auch, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar ist, dass ausländische Investitionen nach Kolumbien fließen, um die Implementierung des Friedensabkommens zu unterstützen.

Dennoch bleiben die Widerstände in Kolumbien selbst, etwa bei der Generalstaatsanwaltschaft.

Die Situation ist für die Staatsanwaltschaft heikel, weil sie sich darüber im Klaren ist, dass sie die übergroße Mehrheit der Verbrechen ungesühnt gelassen hat, sofern sie von staatlichen Akteuren oder Paramilitärs begangen wurden. Die Guerillaorganisationen wurden hingegen mit großem Elan verfolgt, wie auch der Internationale Strafgerichtshof bestätigt. Seit mit dem Friedensabkommen die Schaffung einer unabhängigen Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung des Paramilitarismus beschlossen wurde, ist die Generalstaatsanwaltschaft dagegen Sturm gelaufen. Das Friedensabkommen sieht aber vor, dass die EU dieses Gremium unterstützt. Hier könnte Deutschland eine führende Rolle spielen.

Sie haben schon erwähnt, dass die EU rund 600 Millionen Euro eingerichtet und Deutschland bilaterale Hilfen zugesagt hat. Ist das durchweg positiv zu bewerten?

Das muss man sich im Detail noch ansehen. Der Treuhandfonds der EU mit 600 Millionen Euro ist ein sogenannter verlorener Zuschuss, dass heißt, dieses Geld wird ohne Gegenleistung und Verpflichtung zur Umsetzung des Friedensabkommens verwendet. Deutschland hat zudem Kredite in Höhe von 200 Millionen Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Aussicht gestellt. Bislang ist noch nicht klar, ob es sich in Gänze um rückzahlungspflichtige Kredite handelt, wie hoch in diesem Fall die Zinsen sein würden und wie die weiteren Konditionen sind.

Sie haben den Friedensprozess als juristischer Berater der FARC-Delegation begleitet. Ist mit dem Abkommen der Frieden erreicht?

Der Frieden wird herrschen, wenn das Abkommen vollständig umgesetzt ist. Die Unterschriften alleine schaffen keinen Frieden. Aber für all dies ist das bereits erreichte Abkommen ein Meilenstein.

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