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Willkommen zurück,
 Bacchus!

Nach Jahrzehnten des Stillstands begannen Visionäre, die jahrhundertealte polnische Weinbautradition wiederzubeleben.

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.

Jahrzehntelang hatte sich Bacchus beleidigt aus Polen zurückgezogen. Was sollte er noch in einem Land, das die, im 13. Jahrhundert von den Zisterziensern begründete Weintradition so mit Füßen trat? Dabei wuchsen hier noch vor 200 Jahren auf 1700 Hektar Reben. Sogar die erste deutsche Sektfabrik wurde in dieser Region gegründet - in Grünberg, dem heutigen Zielona Gora, knapp 200 Kilometer von Berlin entfernt. 800 000 Flaschen »Sprudelwasser« aus einheimischen Trauben traten ab 1826 von hier aus ihre Reise in alle Welt an. Bis 1945 - da war nicht nur Schluss mit Grünberger »Champagner«, sondern mit dem Weinanbau überhaupt. Ignoranz der neuen Machthaber und die Tatsache, dass Importe preiswerter waren, als die Produktion im eigenen Land, brachten den Weinanbau zum Erliegen. Aus den Weinbergen wurden Gemüsegärten, Baugrundstücke und Obstplantagen.

Jetzt aber ist Bacchus zurück. Schmunzelnd, so als wollte er sagen: »Ich wusste, meine Zeit kommt wieder«, sitzt er auf seinem Fass im Zentrum von Zielona Gora. Mehr noch: Er hat sogar jede Menge Gesandte mitgebracht. Überall in der Stadt kann man den kleinen Gesellen - allesamt witzige Abbilde des Weingottes - begegnen. Insgesamt 40 sind es bislang: Sie sitzen rechnend vor der Sparkasse, rollen ein Fass in das bei Einheimischen wie Touristen angesagte Weinlokal »Bachus« oder fotografieren vor der Touristeninfo. Jedes Jahr kommen einige dazu. Für umgerechnet rund 1500 Euro kann sich jeder seinen bronzenen Mini-Bacchus maßgefertigt vor die Haus- oder Ladentür setzen lassen.

Mehr und mehr entwickelt sich die Region um Zielona Gora wieder zu einer Hochburg des polnischen Weinanbaus. Waren 1990 erst zwei und zehn Jahre später fünf Hektar aufgerebt, so sind es jetzt bereits mehr als 100. Zu den Pionieren gehört Marek Krojcig, der in dem Dörfchen Górzykowo das Weingut »Stara Winna Góra« mit angeschlossenem kleinen Hotel bewirtschaftet. Auf 6,5 Hektar Sand-Lehm-Boden wächst bei ihm inzwischen Wein - 70 Prozent weiße und 30 Prozent rote Trauben: Riesling, Grauburgunder, Traminer, Saphira, Spätburgunder, St. Laurent und Regent. Dabei hatte der heute 58-Jährige eigentlich überhaupt nicht vor, Winzer zu werden. Jahrelang hatte er in Australien Turbinen gebaut, später seine eigene Schaumstofffabrik gegründet. 1995 wollte er einfach nur ein Grundstück auf dem Land kaufen, um darauf für seine Familie ein Haus zu bauen. Doch dann hörte er von der alten Weinbautradition des Geländes und dass auch ringsum einst auf etwa 100 Hektar Reben standen. Je mehr er sich mit der Geschichte seiner Parzelle und des Dorfes beschäftigte, desto mehr wuchs bei Marek der Wunsch, diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Allerdings beschränkte sich sein Wissen vom Wein auf das gelegentliche Öffnen und Trinken einer Flasche.

Kurzentschlossen begann er an der Hochschule Geisenheim in Hessen eine Ausbildung zum Önologen, machte verschiedene Praktika bei deutschen Winzern und begann, seine ersten Flächen mit Reben zu bepflanzen. »Man muss schon ziemlich verrückt sein, sich auf so ein Experiment einzulassen«, sagt er rückblickend. Inzwischen gehört er selbst zu jenen, die von seinen Landsmännern gefragt werden, wenn es um Wein geht. 2002 sogar von der Regierung, als die begann, endlich ein nationales Weingesetz auf den Weg zu bringen. Als es 2008 verabschiedet wurde, steckte da viel von Marek Krojcigs Wissen drin. Er war dann auch der Erste in Polen, der die Steuerbanderolen bekam, die die Winzer berechtigen, ihren Wein offiziell zu verkaufen. Bis dahin nämlich war das nicht möglich, die Winzer durften ihren Wein ausschließlich selbst trinken oder verschenken. Was seltsame Blüten trieb: Ich beispielsweise kaufte vor Jahren einem polnischen Weinbauern mehrere Visitenkarten ab und bekam von ihm zu jeder eine Flasche Wein dazugeschenkt. Die meisten der insgesamt 56 Winzer in der Woiwodschaft Lubuskie müssen sich bis heute ähnliches einfallen lassen, denn die begehrten Steuerbanderolen bekommt nur, wer bestimmte Qualitätsauflagen erfüllt.

Bei Zbiginiew Czmuda, der das Schlosshotel in Wiechlice betreibt, geht nun endlich die Zeit zu Ende, da er seinen Gästen zum Essen eine Flasche oder ein Glas Wein »spendierte«. Ab 1. Januar darf er offiziell ausschenken. Anders als Marek Krojcig hat er sich sein Weinwissen komplett nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum« erworben und dafür nicht wenig Lehrgeld zahlen müssen. Heute bewirtschaftet er einen Hektar, auf denen mehrere rote und weiße Rebsorten wachsen. »Ich weiß, mein Wein ist nicht der beste, aber die Leute trinken ihn gern, weil er von hier ist«, sagt er und fügt an: »Aber ich wollte unbedingt eigenen Wein produzieren, weil es den schon früher hier gab.«

Das wussten er und seine Frau, als sie 2007 das ehemalige Gut Wiechlice erwarben, um sich hier den Traum von einem Schlosshotel zu erfüllen und um ein historisches Gebäudeensemble zu retten. Von der einstigen Pracht des Herrenhauses aus dem 18. Jahrhundert mit seinen zahlreichen Nebengebäuden war da nichts mehr erkennbar. Mit viel Liebe zum Detail, langem Atem und mit noch mehr Geld hat der Selfmademann das Areal in eines der schönsten Wellnesshotels Polens verwandelt. Dafür erhielt er letztes Jahr den Titel »Tourismus-Perle« der Woiwodschaft Lubuskie. Besonders stolz aber ist er auf das Lob von Willi Theodor von Neumann, dem letzten Besitzer des 7,5 Hektar großen Anwesens. Der heute 94-Jährige hatte Czmuda als verrückt erklärt, als der ihm vor zehn Jahren sagte, er wolle die Schlossruine in alter Pracht wieder herstellen. Als der betagte Herr vor einiger Zeit zu Gast in Wiechlice war, wollte er seinen Augen nicht trauen. »So schön kenne ich es noch aus meiner Kindheit«, stellte er berührt fest.

Der neue polnische Wein hat viele Facetten, die meisten Winzer sind noch ganz am Anfang, auf Erfahrungen der Väter können sie nicht setzen. Aber der Mut und die Leidenschaft, mit der sie die alte Tradition wieder aufleben lassen, ist bewundernswert. Wer wissen will, wie die Weine schmecken, kann das beispielsweise im Weinkeller »Bachus« im Zentrum von Zielona Gora, der vor einem Jahr in einem uralten Weingewölbe öffnete. Hier bietet Adam Kremer die Weine von fast allen offiziell zugelassenen Winzern der Region an. Wer seine weinseligen Erkundungen allerdings lieber aktiver angeht, sollte sich auf die Wein- und Honigroute begeben, die von Weingut zu Weingut führt.

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