Neu im Kraftkombinat

Noch nie habe ich so einen menschenfeindlichen Ort erlebt wie ein völlig überfülltes Fitnessstudio in Prenzlauer Berg. Angeblich ist es das mit der höchsten Frequentierung der Kette in ganz Berlin. Und nirgends kann man so wunderbar allein sein wie hier.

Die Stimmung ähnelt der eines U-Bahnhofs in Tokio. Ständig laufen Menschen von irgendwo her irgendwo rein und andersrum. Es ist egal, ob man an einem Dienstag um 19 Uhr, einem Sonntag um 9 Uhr oder am Neujahrsmorgen trainieren geht. Am Anfang haben alle den selben Work-out-Plan in die Hand gedrückt bekommen: 15 Wiederholungen a vier Sets an einem Gerät, dann zum nächsten. Dazu wummernde Bässe aus der wieder belebten Eurotechnozeit. Jedes Gespräch damit im Keim erstickt. Es gibt sie nicht, die dauerquasselnden besten Freundinnen, die beim Schwimmen die Bahn verstopfen.

Die Gesichter in dem riesigen Kraftkombinat verziehen sich zu Fratzen, während neben ihnen am »Butterfly« die Gewichte hoch und wieder runter fahren wie ein Fahrstuhl. Der Schmerz pumpt sich in jede Faser, brennt sich in jede Zelle ein. Hier herrscht keine gute Laune, das ist der prosaische Kampf gegen sich selbst. Den kämpft der Hipster, der aus seinen dünnen Streichholzbeinchen echte Waden machen will, wie der Kollegah-Bruder im knielangen Unterhemd, das den wohlgebräunten, tätowierten Monsterbizeps freilegt. Jeder kämpft für sich allein.

Beim Cycling vor dem Flatscreen spornt die Frau im Fernsehen die nachahmenden Massen an »Vergesst Euren langweiligen Alltag« (sie sagt wirklich »langweilig«), »was zählt, sind die Jumps«. Niemand lacht nach dieser Ansage, sondern sie treten noch fester in die fein kalibrierten Pedale, wischen sich mit dem erschöpft über dem Lenker baumelnden Handtuch die Perlen von den Schläfen. Langweiliger Alltag ...

Auf dem Crosstrainer später ein Mann, der offensichtlich verkehrt herum die »Treppe« runter läuft, das Ding also rückwärts benutzt. Es sieht komisch aus, er quält sich, tritt aber immer schneller, damit nicht auffällt, dass die Maschine ihn längst beherrscht. In einem Etablissement wie diesem ist Ratlosigkeit geächtet. Kein Trainer weit und breit. Das Gesicht verlieren und nachfragen ist gesellschaftlicher Selbstmord. Die Welt teilt sich hier - wie draußen - in die, die mitkommen und die, die auf der Strecke bleiben. Der Wunsch nach sozialer Nähe ist etwas für Menschen, die auch Yoga-Urlaube machen.

In der Umkleidekabine dann das gleiche Szenario, nur im Keller, noch düsterer die Stimmung. Hier kommen sie sich zwangsweise zu nahe, weil zu wenig Platz ist für all die Getränkeflaschen, Kopfhörer, Badeschlappen. Es wird nicht gefragt, ob da noch Raum für dies und das ist, schnell umziehen, schnell anziehen, schnell weg.

Draußen, wieder zurück in der richtigen Welt, kommt die Straßenbahn. Voll bis an die Tür, es wird geschrien »Geht doch mal durch da vorne, ihr Arschgeigen!«. Gebt den Menschen eine Kurzhantel in die Faust und sie ärgern sich über den Alltag, aber dabei sind sie wenigsten schön ruhig.

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