Verlierer als spätere Gewinner

Die Niederlage bei einer Urwahl muss nicht das Karriereende für Spitzenpolitiker bedeuten. Prominentestes Beispiel ist der Weg von Gerhard Schröder

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Befragungen der Parteibasis sind derzeit angesagt. Die Organisatoren der Abstimmungen erhoffen sich hiervon größere mediale Aufmerksamkeit und wollen zugleich gegen den anhaltenden Mitgliederschwund vorgehen. Bei Personalstreitigkeiten durften etwa auf Landesebene zuletzt öfter die Mitglieder über den Spitzenkandidaten abstimmen. Auf Bundesebene wird dieses Modell allein von den Grünen präferiert. Bei ihnen bedeutet die Spitzenkandidatur allerdings nur, dass die Gewinner eine herausgehobene Rolle im Wahlkampf spielen und bei einem Erfolg gute Chancen auf den Fraktionsvorsitz oder einen Ministerposten haben. Um das Amt des Regierungschefs geht es für die Grünen im Bund nicht.

Bei großen Parteien haben sich einige Ministerpräsidenten oder Anwärter auf den Posten vor der Landtagswahl in einer parteiinternen Basisabstimmung durchgesetzt. So gewann etwa der spätere Regierungschef von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, Anfang des Jahres 2011 durch eine Mitgliederbefragung gegen Ralf Stegner. Letzterer war dadurch in der SPD aber nicht komplett entmachtet, sondern er blieb bis heute in Wartestellung. Trotz seiner parteiinternen Niederlage wurde Stegner immerhin zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten ernannt. In Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurden die späteren Ministerpräsidenten Stephan Weil und Harald Ringstorff ebenfalls von der Basis gekürt.

Selbst in der CDU werden Mitgliederbefragungen für die Spitzenkandidatur auf Landesebene gewagt. In Baden-Württemberg gewann kürzlich Guido Wolf gegen Thomas Strobl. Obwohl die Landtagswahl im März vergangenen Jahres für die Christdemokraten katastrophal verlief, erhielt Wolf danach das Amt des Justizministers im grün-schwarzen Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Strobl wurde trotz seiner geringeren Beliebtheit in der baden-württembergischen Parteibasis Innenminister und stellvertretender Regierungschef.

In der LINKEN ist eine Urwahl oft diskutiert, aber auf Bundesebene immer wieder verworfen worden. Allerdings konnten die Mitglieder in Schleswig-Holstein kürzlich darüber abstimmen, wer bei der Landtagswahl in diesem Frühjahr ganz oben auf der Liste stehen soll.

Den Möglichkeiten, die eigene Basis zu beteiligen, sind durch das Parteiengesetz Grenzen gesetzt. Demnach ist der Parteitag, wo die Delegierten der jeweiligen Landesverbände vertreten sind, das höchste Entscheidungsgremium. Hier werden der Vorstand gewählt und wichtige programmatische Entscheidungen getroffen. Damit der Parteitag weiterhin seine herausgehobene Stellung behält, sind manche Entscheidungen der Basis nicht bindend, sondern müssen von einem Parteitag abgesegnet werden. Ein Beispiel hierfür war die Mitgliederbefragung der SPD von 1993, in der Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden bestimmt wurde. Seine unterlegenen Gegenkandidaten waren Heidemarie Wieczorek-Zeul und Gerhard Schröder. Der Niedersachse setzte sich später auf anderem Wege in der Bundes-SPD durch. Nach Scharpings Niederlage bei der Bundestagswahl 1994 folgte vier Jahre danach Schröders Erfolg als Kanzlerkandidat.

Die eigene Basis kann auch nachträglich gefragt werden, wenn sich eine Partei nach der Wahl auf einen Koalitionsvertrag geeinigt hat. So durften etwa die Mitglieder SPD über den Vertrag der Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2013 abstimmen. Auf Landesebene wurde vor wenigen Wochen etwa die Basis der Linkspartei über den Eintritt in die rot-rot-grüne Koalition in Berlin gefragt. Diese Abstimmungen sind für die Parteiführungen allerdings nicht sonderlich gefährlich. Denn die Ablehnung eines Koalitionsvertrags würde die eigene Partei massiv schwächen und möglicherweise zu Neuwahlen führen. Dieses Risiko wollen die meisten Basismitglieder in der Regel nicht eingehen.

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