nd-aktuell.de / 14.01.2017 / Politik / Seite 27

Martin Niemöller

Kalenderblatt

Heinrich Fink

»Was würde Jesus dazu sagen?« Diese Frage war für Martin Niemöller nie eine fromme Floskel. In schwierigen Situationen holte er sich Rat bei Gottes Sohn. So nach 1933, als es der »Glaubensbewegung Deutscher Christen« gelang, mit Hilfe der neuen Machthaber Schlüsselpositionen in der Kirchenleitung und Synode zu besetzen und die Einführung des Arierparagrafen auch im kirchlichen Bereich durchzusetzen. Der vor 125 Jahren, am 14. Januar 1892, in Lippstadt in einem konservativen westfälischen Pfarrhaus Geborene rief seine Amtsbrüder zur Gründung eines »Pfarrernotbundes« auf, aus dem die Bekennende Kirche erwuchs.

Anfang 1934 kam es bei einer Unterredung mit Kirchenvertretern zur Konfrontation zwischen Hitler und Niemöller. Der Reichskanzler thematisierte ein abgehörtes Telefongespräch. Im barschen Ton belehrte er Niemöller, er solle sich um seine Gemeinde in Berlin-Dahlem kümmern und nicht um Politik. Der Pfarrer widersprach, dass »weder Sie noch eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns Christen die uns von Gott auferlegte Verantwortung für unser Volk ablegen zu lassen«. Dies empörte Hitler so sehr, dass er gegen den Geistlichen umgehend Predigtverbot erließ und ihn zum »Feind des deutschen Volkes« erklärte. Bis 1937 musste sich Niemöller 40 Gerichtsverfahren stellen, wurde wiederholt verhaftet und saß schließlich als persönlicher Gefangener Hitlers acht Jahre in Sachsenhausen und Dachau.

Unfassbar war für Niemöller, nach der Zerschlagung des Faschismus nicht sofort auf freien Fuß gesetzt zu werden. Die Befreier begründeten, er sei als »dangerous person« eingestuft und gelte deshalb zunächst noch als Gefangener der US-Besatzungsmacht. Erst nach einem Hungerstreik konnte Niemöller am 4. Juni 1945 seine Freilassung erwirken. Die bittere Erfahrung habe ihm den Kalten Krieg signalisiert, äußerte er später. Eine weitere Erkenntnis, die er der Kirche im befreiten Deutschland mitgab: »Neuanfang beginnt mit dem Bekennen von Schuld.« Das auf dieser Mahnung aufbauende »Stuttgarter Schuldbekenntnis« von 1945 erwähnte zwar als Opfer weder Juden, Sinti und Roma noch Behinderte und Homosexuelle. Trotzdem hoffte Niemöller, mit diesem wie auch mit dem »Darmstädter Wort« 1947 den Neuanfang für die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche gesetzt zu haben.

Niemöller blieb auch in der Bundesrepublik eine »gefährliche Person« - als Gegner der Remilitarisierung, Mitbegründer der Christlichen Friedenskonferenz, Unterstützer der Ostermärsche und des Dialogs mit Moskau. »Ich habe mich von einem sehr konservativen Menschen zu einem fortschrittlichen Menschen und am Schluss zu einem revolutionären Menschen entwickelt«, urteilte er.

Martin Niemöller starb am 6. März 1984 in Wiesbaden.

Heinrich Fink