nd-aktuell.de / 16.01.2017 / Politik / Seite 8

»Robby, sie kommen nicht mehr heim«

Söhne von Ethel Rosenberg appellieren an Obama, ihre wegen Spionage hingerichtete Mutter zu rehabilitieren

Konrad Ege, Washington

Robert und Michael Meeropol waren sechs und zehn Jahre, als ihre Eltern 1953 hingerichtet wurden: Ethel und Julius Rosenberg, in den USA zum Tode verurteilt, weil sie in den 40er Jahren der Sowjetunion geheime Baupläne der Atombombe zugespielt haben sollen. Jetzt ist Michael Meeropol 73 und hat gemeinsam mit seinem Bruder an Barack Obama appelliert: Vor Amtsende am 20. Januar solle der Präsident anerkennen, dass das Todesurteil gegen ihre Mutter Ethel Rosenberg unrechtmäßig gewesen sei.

Er hoffe auf eine positive Antwort, so der pensionierte Wirtschaftsprofessor. Über Jahre angehäufte Indizien zugunsten seiner Mutter seien eindeutig, erklärt Meeropol. Ethel sei vor Gericht gestellt und zum Tod verurteilt worden, um Julius unter Druck zu setzen. Der Kronzeuge habe gelogen. Fast 50 000 Menschen haben das Bittgesuch mitunterzeichnet.

Ethel und Julius Rosenberg wurden am 19. Juni 1953, einem Freitag, vor Sonnenuntergang auf dem elektrischen Stuhl in New York hingerichtet. Die Rosenbergs waren Juden. Aus Rücksicht habe man den Strom vor Beginn des Sabbat eingeschaltet, berichteten Medien.

Am Tag der Hinrichtung wurden die Jungen zum Spielen ins Freie geschickt, weg vom Radioapparat. Die Erwachsenen hätten die Todesnachricht von ihnen fern halten wollen, erzählte Michael. Doch er habe verstanden, seinem jüngeren Bruder nichts vormachen wollen, und ihm gesagt: »Robby, sie kommen nicht mehr heim.« Die Jungen wurden später von dem Ehepaar Anne und Abel Meeropol adoptiert, dessen Namen sie noch heute tragen.

Die Rosenbergs, er Ingenieur, sie Hausfrau, beide Kommunisten, wurden 1951 in New York City festgenommen. Richter Irving Kaufman erklärte, das Paar habe »den Russen die A-Bombe in die Hände« gespielt. FBI-Direktor J. Edgar Hoover sprach vom »Verbrechen des Jahrhunderts«.

Der Papst bat um Gnade, ebenso Albert Einstein und Pablo Picasso. Weltweit wurde demonstriert. Fotos zeigen eine Kundgebung vor dem Weißen Haus: Die Söhne Michael und Robert stehen am Zaun, um Präsident Dwight D. Eisenhower einen Bittbrief zu geben, wie es hieß. Die Demonstranten hielten die Rosenbergs für Opfer des Kalten Krieges. Die Angst vor den Kommunisten war riesig und ebenso die Angst vor einem Atomschlag: Schulen zeigten damals Zivilverteidigungsfilme, bei Atomgefahr sollten die Kinder unter ihre Pulte kriechen.

Michael und Robert lebten während des Prozesses zeitweilig in einem Waisenhaus. Manche Verwandte hätten Angst gehabt, sie aufzunehmen, sagte Robert dem Sender CBS. Sein Onkel betrieb einen Lebensmittelladen. »Wenn Leute herausfinden, dass ich die Kinder der Rosenbergs habe, kaufen sie nicht mehr bei mir ein«, habe er gesagt.

»Denkt immer daran, dass wir unschuldig sind und nicht gegen unser Gewissen handeln konnten«, schrieben Ethel und Julius im Abschiedsbrief an ihre Kinder. Das Gesuch an Obama ist ein weiteres Kapitel der Auseinandersetzung mit dieser Beteuerung.

Er habe bereits Anfang der 80er Jahre in Erwägung gezogen, dass sein Vater »in eine Art Industriespionage« involviert gewesen sein könnte, sagte Michael Meeropol. Diese Ahnung sollte sich mehr als bestätigen: 1995 veröffentlichte der Geheimdienst National Security Agency (NSA) Protokolle abgehörter sowjetischer Kommunikation, denen zufolge Julius Rosenberg spioniert habe - er war Teil einer Verschwörung, um rüstungswichtige Daten zu beschaffen.

Ethel aber sei nicht als Agentin geführt worden. Ihre Rehabilitierung wünschen sich nun die Söhne. Der Kronzeuge des Prozesses war Ethels Bruder David Greenglass, selbst Mitspion. Er sagte in einem Interview für das Buch »The Brother« von Sam Roberts (2001), seine entscheidende Aussage über Ethels Teilnahme an Atomspionage sei erlogen gewesen: Ethel habe gar keine Atomdokumente abgetippt.

2015 veröffentlichte das »National Security Archive« das Protokoll von Greenglass’ Verhör vor dem Prozess: Darin sagte Greenglass, er habe mit Ethel nicht über Spionage gesprochen. Wissenschaftler bezweifeln den Wert der beim Prozess zur Sprache stehenden Dokumente.

Im Dezember vergangenen Jahres legte die Juraabteilung der katholischen Seton-Hall-Universität in New Jersey eine Untersuchung zum Fall vor: Die Forscher hätten ein FBI-Dokument von 1950 gefunden, dem zufolge die US-Regierung nur minimale Indizien gegen Ethel gehabt habe. Man habe sie vor Gericht gestellt in der Hoffnung, Julius zum Reden zu bringen. Doch Ethel und Julius schwiegen beide.

Die Vernehmung von Greenglass führte ein aggressiver junger Staatsanwalt namens Roy Cohn. Später wurde er Berater eines gegen den Kommunismus gerichteten Senatsausschusses (»McCarthy-Ausschuss«) - und in den 1970er Jahren Anwalt für einen Immobilienunternehmer namens Donald Trump. 1986 verlor Cohn wegen Betrugs die Anwaltslizenz. epd