Grelle Farben, schrille Töne

Das Hans-Otto-Theater Potsdam zeigt eine Bühnenfassung von Virginie Despentes’ Roman »Die schönen Dinge«

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon ihr Debütroman »Wölfe fangen« war heiß umstritten. Spätestens nachdem Virginie Despentes ihn unter dem Titel »Bais-moi« (»Fick mich«) selbst verfilmte, hatte sie den Ruf als Provokateurin und aufmüpfige Feministin weg. Um sexuelle Selbstbefreiung geht es auch in »Die schönen Dinge«. Dessen Heldin verlacht im Einverständnis mit ihren Geschlechtsgenossinnen Eitelkeit und Versagen der Männer und macht sich über deren jämmerliche anatomische Ausstattung lustig. Nur Hohn und Spott hat sie für ihren Manager »Big Boss«, der sich für einen sexuellen Glücksbringer hält, in Wahrheit aber ein dicklicher Kotzbrocken ist.

In Wojtek Klemms Bühnenfassung finden sich kaum Menschen mit realer Selbsteinschätzung und einem zukunftsfrohen Lebensentwurf. Ein »normaler« Mensch war indessen Pauline - in ihrer ersten Lebenshälfte. Sie hielt sich an die Ideale wahrer Liebe und schaute auf das skandalträchtige Leben ihrer Zwillingsschwester Claudine herab, die als heillos überschätzte Sängerin über die Großstadtbühnen tingelte und vorher durch die Betten zweifelhafter Förderer wanderte. Dann kommt alles ganz anders. Claudine fällt einem Unfall zum Opfer, und Pauline nimmt, lüstern auf Erfolg und glamouröses Leben, die Rolle ihrer Schwester ein.

Klemm inszeniert mit Phantasie und Gespür für grotesk-komische theatralische Erfindungen. Er entwirft das Zerrbild eines aus den Fugen geratenen Gemeinwesens. Eine Parade der Spukgestalten marschiert auf. Grell sind die Farben, schrill die Töne, enthemmt die exaltierten Bewegungen. Schon der szenische Schauplatz ist nicht von dieser Welt. Im Zentrum ein großes fahrbares Luderbett, darunter ein kreisförmiger Teppich, der zum Zwecke angestrengter sexueller Betätigung ausgerollt wird, im Hintergrund zwei hohe Aufsteller mit skizzierten Darstellungen der Tingel-Tangel-Welt und an der Seite ein seltsam verfremdetes Telefonhäuschen mit märchenhaften Ausschmückungen. Männer mit Zylindern, mit Halskrausen und giftig grünen und roten Blusen umfahren auf Rollschuhen Pauline, das weibliche Objekt der Begierde, das sich auf dem Höhepunkt des Treibens mit rosiger Schweinsmaske in den gespenstischen Zug einreiht. Auf dem Teppich windet sich, stöhnend vor Lust, »Big Boss«. Drei Männer beschreiben brutale Sexszenen, während Pauline monoton ihre Zunge auf- und niederschnellen lässt.

Irgendwann aber nutzen sich die Mittel ab, theatralische Wirkungselemente überlagern sich. Pauline schreit den gaffenden Männern ihren Hass ins Gesicht, während ein Synthesizer hämmernde Schlagwerktöne ausspuckt. Ihr Freund Nicolas taucht zeitgleich hektisch in vielfacher Wiederholung einen Teebeutel ins Glas, und das ganze Handlungsgewirr wird in Varianten auf Bildschirm und Leinwände übertragen. Weniger wäre mehr gewesen.

Was dem Regisseur fehlt, ist das Gespür für die Tragfähigkeit eines Einfalls. Wenn sich Pauline und Nicolas gegenseitig vorwerfen, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben, schlagen sie sich mit der flachen Hand ins Gesicht - dutzendfach. Im Schauspielerischen sorgt Nina Gummich als Pauline für Rhythmus und Struktur. Sie hat die Fähigkeit zum überraschenden Bruch. Auf den überhitzten Sex folgt die nachdenkliche Erkenntnis, in ihrem Leben viel verpasst zu haben, der leidenschaftlichen Liebeserklärung an den zurückgekehrten Ex-Freund Sebastien das kalte »Hau ab!«.

Nächste Vorstellungen: 22.1., 4., 26.2.

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