Nur die Bürger können Erdogan stoppen

Türkisches Parlament verabschiedet Verfassungsreform / Referendum über Präsidialsystem im Frühjahr

  • Lesedauer: 2 Min.

Ankara. Nach der Billigung durch das Parlament wird die von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in der Türkei dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Die Abgeordneten verabschiedeten am Wochenende mit der nötigen Dreifünftelmehrheit das Reformpaket aus 18 Artikeln und machten damit den Weg für das Referendum voraussichtlich Ende März oder Anfang April frei. Bei der Volksabstimmung ist nur noch eine einfache Mehrheit notwendig.

Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Der Präsident würde zugleich als Staats- und Regierungschef amtieren und könnte weitgehend per Dekret regieren. Er könnte Minister eigenständig ernennen und entlassen, sein Einfluss auf die Justiz würde weiter zunehmen.

Erdogan forderte seine Anhänger dazu auf, sich für die kommende Wahlkampagne »ordentlich ins Zeug« zu legen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu sprach dagegen von einer Katastrophe und kündigte einen entschlossenen Kampf gegen die Reform an. Für das von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP eingebrachte Reformpaket stimmten 339 Abgeordnete, 142 waren dagegen. Möglich wurde das Ja-Votum durch eine Allianz der AKP und der ultrarechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).

Erdogan beglückwünschte die Türken am Samstag zur Entscheidung des Parlaments. »Ich gratuliere unserem Volk. Ich gratuliere unserem Land«, sagte er in Istanbul bei der Eröffnung einer Metrostation. Die Umsetzung der Verfassungsreform soll schrittweise erfolgen und bis zur für November 2019 geplanten Wahl vollständig abgeschlossen sein. Theoretisch könnte Erdogan durch eine Hintertür in den Verfassungsänderungen bis zum Jahr 2034 im Amt bleiben, wenn er die jeweiligen Wahlen gewinnt.

Erdogan führt an, dass das Präsidialsystem der Türkei Stabilität bringen würde. CHP-Chef Kilicdaroglu kritisierte, das Parlament habe »Verrat« an seiner Geschichte begangen und die »eigenen Machtbefugnisse« abgetreten. »Wir sind gegen diesen Systemwechsel«, sagte er.

Zugleich zeigte sich der Oppositionsführer zuversichtlich, dass die Reform bei dem Referendum scheitern werde und die Nation den »Fehler« des Parlaments beheben werde. Neben der Mitte-Links Partei CHP ist die pro-kurdische Oppositionspartei HDP strikt gegen das Präsidialsystem, weil sie eine Ein-Mann-Herrschaft befürchten. Auch der Chef der türkischen Anwaltskammer, Metin Feyzioglu, ist überzeugt, dass der Systemwechsel zu »Instabilität und Chaos« führen würde. »Das nennt sich Sultanat«, so Feyzioglu. Derzeit ist Umfragen zufolge ungewiss, ob es bei dem geplanten Referendum eine Mehrheit für die umstrittene Verfassungsänderung geben wird. AKP und MHP haben für den Fall einer Ablehnung bereits eine vorgezogene Parlamentswahl in Aussicht gestellt. Agenturen/nd

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