nd-aktuell.de / 23.01.2017 / Politik / Seite 5

Inventur bei Sachsens Rechtsextremisten

Große Anfrage der Linksfraktion in Dresden bestätigt: Freistaat ist bundesweit weiter eine Hochburg der Verfassungsfeinde

René Heilig

Es ist eine Chronik des Schreckens: Von Anfang 2011 bis zum ersten Halbjahr 2016 wurden im Freistaat Sachsen rund 10 300 rechtsmotivierte Delikte begangen. Während die Zahl über die ersten Jahre bei etwa 1600 gelegen habe, sei sie 2015 auf fast 2500 gestiegen. Dieser Trend setzte sich auch 2016 fort. Auch die Zahl der Körperverletzungen steige deutlich. Immer mehr Übergriffe würden sich gegen staatliche Einrichtungen, politische Gegner und Asylunterkünfte richten.

Als territoriale Schwerpunkte wurden die Städte Dresden, Leipzig sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ausgemacht. Dort existiert jeweils auch eine hochorganisierte rechte Szene.

Das lässt sich aus der Antwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion im Sächsischen Landtag ablesen. Trotz der strengen Statistik ist es fraglich, wie hoch die Dunkelziffer ist. Denn offenbar ist es keineswegs sicher, ob die Polizei alle entsprechenden Delikte auch als politisch rechtsmotiviert einstuft. Doch auch so bliebe der Freistaat bundesweit »die Hochburg der extremen Rechten schlechthin«, beklagt die Extremismusexpertin der Fraktion, Kerstin Köditz.

Laut Landesregierung sind mehr als 6000 Tatverdächtige ermittelt worden. Dagegen gab es nur 1215 rechtskräftige Verurteilungen. Sogenannte auswärtige Tatverdächtige spielen keine gesteigerte Rolle, weshalb »Krawalltourismus« als Erklärungsansatz für das Anwachsen der kriminellen rechtsextremen Aktivitäten ausfällt. Man erinnert sich an Freiberg, Heidenau, Bautzen und andere Gebiete und muss zur Kenntnis nehmen, dass Sachsens Naziprobleme hausgemacht sind. Nur knapp 40 Prozent aller rechtsmotivierten Delikte werden aufgeklärt. Unterdurchschnittlich sind die Erfolge der Strafverfolger im Landkreis Leipzig.

Recht erfolglos ist auch die Kontrolle von Rechtsextremisten, die im Besitz Waffenscheinen sind. So habe der sächsische Verfassungsschutz 100 einschlägige Personen überprüft, nur in drei Fällen hätten die Erlaubnis und gegebenenfalls auch Waffen entzogen werden können. Das Landesamt für Verfassungsschutz überprüfte seit 2011 die Zuverlässigkeit von 145 Bewerbern im Bewachungsgewerbe. Zu 113 Personen übermittelte der Geheimdienst den zuständigen Gewerbebehörden gerichtsverwertbare Erkenntnisse. In allen anderen Fällen standen einer Übermittlung überwiegende Belange des Geheimschutzes entgegen.

Auch beim Verbot von als rechtsextremistisch und gefährlich erkannten Gruppen ist man nicht erfolgreich. So wurden zwar Verbote gegen die »Nationalen Sozialisten Geithain«, die »Terrorcrew Muldental« sowie die »Faust des Ostens« erörtert, doch sie kamen nicht zustande. Den Neonazis standen zwischen 2011 bis 2016 nach Erkenntnissen der Freistaat-Behörden mehr als 60 Objekte zur Verfügung. Rund ein Viertel befinde sich im Eigentum von Rechtsextremisten. Sieben genutzte Objekte gehörten oder gehören der öffentlichen Hand.

Inhaltlich reiten die Neonazis vor allem Attacken gegen die Anwendung des Asylrechts. Sie geben sich selbst asylfeindlich und wirken bei Veranstaltungen anderer Asylkritiker mit. Im Bereich der Parteien ist die gerade vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich bewertete NPD besonders aktiv. Mit abnehmender Tendenz. Die Partei Die RECHTE baut in Sachsen seit mehreren Jahren Verbandsstrukturen auf. Derzeit existieren die Großverbände »Ostsachsen« und »Westsachsen«. Die Partei Der III. Weg verfügt im Vogtlandkreis über einen Modellverband. Auch in der Region Mittelsachsen-Erzgebirge sei es gelungen, aktive Neonazis an sich zu binden. Ähnliches deutet sich u.a. im Landkreis Leipzig mit dem Verband »Mittelland« an.

Über die sogenannten Reichsbürger weiß die Staatsregierung nichts zu berichten. Zur Identitären Bewegung ist nach dreijähriger Prüfung durch das Landesamt für Verfassungsschutz seit dem Beginn der Beobachtung Mitte 2016 noch immer nicht mehr bekannt geworden als die Standorte ihrer Ortsgruppen. Nicht ausreichend beachtet wird das Zusammenwirken von Neonazis und Hooliganszene.

Kerstin Köditz konstatiert, dass man es seit mindestens zwei Jahren »mit einer verschärften Gewaltdynamik« zu tun habe. Sie sieht die Staatsregierung und insbesondere Innenminister Markus Ulbig (CDU) in der dringenden in der Pflicht, »endlich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten vorzulegen und wirksam einzuschreiten«.