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»Wir messen uns sogar beim Frikadellenessen«

Mischa Zverev erklärt seinen Sieg gegen den Weltranglistenersten Andy Murray mit den Erfolgen seines jüngeren Bruders

  • Ulrike Weinrich und
Angela Bern, Melbourne
  • Lesedauer: 3 Min.

Mischa Zverev hatte nach seinem Geniestreich in Melbourne Tränen in den Augen. Überwältigt vor Glück blickte der Überraschungs-Viertelfinalist der Australian Open nach dem Sieg über den topgesetzten Andy Murray zu seinem Familienclan hinüber und sah ein heilloses Durcheinander. Papa und Geburtstagskind Alexander senior drückte Mutter Irena, während der Mischas Bruder Alexander, genannt Sascha, immer wieder wild die Arme in die Höhe riss.

»Dieser Sieg bedeutet die Welt für mich. Das war das beste Match meines Lebens. Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe«, sagte Mischa Zverev nach dem famosen 7:5, 5:7, 6:2, 6:4 über den britischen Topfavoriten.

Auch Boris Becker war restlos begeistert und fühlte sich 20 Jahre zurückversetzt. »Es hat mich ein bisschen an meine eigene Zeit erinnert, ich habe ja genauso offensiv gespielt«, sagte Becker, 1996 letzter deutscher Sieger in Melbourne, über Zverevs Offensiv-Feuerwerk im Spiel gegen Murray: »Es ist vielleicht eine Art Ruf an die jungen Spieler, nicht immer an der Grundlinie zu kleben.« Immerhin war Zverev 118 Mal ans Netz gestürmt, er machte dabei 65 Punkte. Auch der große John McEnroe zog den Hut. »John hat mir hinterher gesagt, dass ich jetzt sein Lieblingsspieler bin«, sagte Mischa Zverev grinsend. Am Dienstag spielt er gegen den Schweizer Roger Federer.

Statt des großen Hoffnungsträgers Alexander Zverev (19), der in der dritten Runde knapp am spanischen Superstar Rafael Nadal gescheitert war, steht nun sein zehn Jahre älterer Bruder erstmals im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers. Der Schattenmann steht plötzlich im Rampenlicht.

Doch der eine gönnt dem anderen alles. »Diese Bruderliebe ist so ein bisschen das Erfolgsgeheimnis der beiden«, sagte Becker und meinte: »Die ganze Familie ist eine tolle Einheit. Der Papa ist immer mit dabei. Und auch die Mama, sie ist eine unglaublich nette, warmherzige Frau.« Und sie lacht viel. »Wenn ich dann zu ihnen schaue und das sehe, ist alles gut«, sagte Mischa Zverev.

Dabei hatten die meisten Mischa nach seinem Absturz bis auf Platz 1067 der Weltrangliste im Jahr 2015 schon abgeschrieben. Für viele war der 29-Jährige nur noch der Sparringspartner, der Mentor von Ausnahmetalent »Sascha«, den nicht nur Nadal als »potenziellen Grand-Slam-Sieger« sieht. Doch die Entwicklung des Jüngsten im Zverev-Clan setzte auch beim Älteren neue Kräfte frei. »Das treibt mich unglaublich an. Wir messen uns in so vielem - sogar beim Frikadellen-Wettessen«, sagte Mischa Zverev. So geschehen bei der gemeinsamen Saisonvorbereitung in Florida.

Mischa ist so anders als der draufgängerische und manchmal arrogant wirkende Alexander. Er ist eher introvertiert, liest gerne Bücher über Psychologie und besitzt eine Privatpilotlizenz. Vor acht Jahren war er schon einmal die Nummer 45 der Welt. Aber Mischa Zverev wollte sich weiterentwickeln, als Mensch, außerhalb des Tennisplatzes, im richtigen Leben. »Ich habe Erfahrungen gesammelt, hatte Beziehungen. Das war natürlich nicht immer gut für die Karriere«, erzählte er: »Aber ich bereue nichts.«

Hinzu kamen Verletzungen wie der Bruch des rechten Handgelenks, angebrochene Rippen, ein Bandscheibenvorfall, Rückenprobleme und der Anriss der Patellasehne. Er dachte sogar ans Aufhören. Alexander Junior, mit dem Mischa russisch spricht, intervenierte und motivierte den Linkshänder neu.

Doch Mischa Zverev wollte mehr sein als »der beste Sparringspartner meines Bruders«. Bei den Australian Open ist er viel mehr. Nämlich der erste deutsche Spieler seit Tommy Haas 2007, der beim ersten Major-Event des Jahres wieder die Runde der letzten Acht erreichte.

Angelique Kerber indes scheiterte. Zwei Tage nach ihrem glatten Sieg gegen Kristyna Pliskova aus Tschechien fand Kerber kein Mittel gegen die aggressive Spielweise der 1,85 Meter großen Coco Vandeweghe (USA) und musste ihre Träume einer Titelverteidigung begraben. Vandeweghe ließ der Deutschen beim klaren 6:2, 6:3-Sieg keine Chance. Kerber verließ kurz nach Mitternacht fluchtartig den Ort ihrer Niederlage. SID/nd

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