Rätselhafter Superstar

Der Bamberger Reiter ist eines der prächtigsten Kunstwerke des Mittelalters. Und nach wie vor umwoben von Sagen und Legenden. Besuch bei einem Mythos

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit nunmehr 780 Jahren steht er hier. Unverändert an immer der gleichen Stelle und unbeirrt von jeglichem Wandel der Zeiten. Als Ross und Reiter erschaffen und in drei Meter Höhe an den Pfeiler am Aufgang zum Ostchor des Bamberger Doms montiert werden, ziehen noch Ritter auf Kreuzzügen ins Heilige Land. Das Paar ist gut 250 Jahre alt, als Kolumbus Amerika entdeckt und etwa 280, als Martin Luther das Christentum umkrempelt. Sie haben bereits ein sattes halbes Jahrtausend auf dem Buckel, als die Französische Revolution den Absolutismus hinwegfegt und sind 700-jährige Methusalems, als der Zweite Weltkrieg beginnt. Geschadet hat ihnen das alles nichts - stoisch hockt der Mann auf seinem Gaul und starrt aus stolzer Höhe mit gerunzelter Stirn und leicht geöffnetem Mund in die Tiefe des riesigen Kirchenschiffs. Er allein kennt die Lösung des zentralen Rätsels um seine Existenz: Wer bin ich?

Bis heute scheiden sich an dieser Frage die Geister. Erhitzen sich die Gemüter. Streiten sich die Experten. Mehr als 20 Identitäten sind dem Reiter schon zugeschrieben worden; Nummer eins auf der Hitliste ist seine Deutung als König Stephan von Ungarn, der nach seiner Heiligsprechung im Bamberger Dom außergewöhnlich verehrt wurde. Andere favorisieren den 1208 ermordeten König von Schwaben, dem man auf diese Weise ein Denkmal habe setzen wollen. Einer dritten Theorie zufolge symbolisiert der Reiter die Dynastie der Staufer, die mit Kaiser Heinrich II. im 11. Jahrhundert in Bamberg ein neues Rom begründen wollten und 1012 hier den ersten Dom weihten.

Manche Historiker mutmaßen, der waffenlose Reiter verkörpere den Messias höchst selbst. Das Standbild habe zur Zeit der Kreuzzüge daran erinnern sollen, dass die Feinde des Christentums nicht durch das Schwert, sondern nur durch Gottes Wort zu bekehren seien. Diametral entgegen steht dem die These vom endzeitlichen Reiter der Apokalypse, der laut »Offenbarung des Johannes« das Böse von der Erde vertilgt und der immerwährenden Herrschaft Gottes zum Sieg verhilft. Und selbst einer der Heiligen Drei Könige könnte der Reiter gewesen sein - auch für diese Annahme gibt es durchaus plausible Anhaltspunkte.

Was von alledem nun tatsächlich zutrifft, ist nach wie vor strittig - jeder untermauert seine Theorie mit Indizien, vieles bleibt pure Fantasterei. Einig sind sich alle nur in einem Punkt: Die Figur ist außergewöhnlich schön.

Fest steht auch: Der Bamberger Reiter ist die älteste erhaltene, lebensechte mittelalterliche Reiterplastik. Sie bildet einen unbekannten Herrscher ab, wurde zwischen 1230 und 1235 aus acht Sandsteinquadern zusammengesetzt und steht seit 1237 im Bamberger Dom. Der oder die Künstler sind unbekannt. Die Statue war in der Gotik mit kräftigen Farben bemalt - Kleid und Umhang rot-orange, Stiefel braun, Haare dunkel, Krone, Sporen und Gürtel vergoldet. Das damals weiß-braun gescheckte Pferd ist beschlagen, eine der ersten Darstellungen von Hufeisen überhaupt. Die Skulptur ist zudem fabelhaft erhalten: Nur Teile der Krone und zweier Finger sowie die Fußspitze gingen irgendwann verloren.

Als eine Art deutsches Kulturheiligtum inspirierte der Reiter die Nationalbewegung im 19. Jahrhundert. Ab 1920 zierte er den 100-Mark-Schein der Weimarer Republik, seit 2012 gibt es ihn sogar als Playmobilfigur. Die Nazis missbrauchten ihn für ihre Rassenpropaganda: Sie etikettierten ihn zur arischen Ikone und verklärten ihn gar zum »Urbild einer Führerpersönlichkeit nordischer Rasse« - das machte ihn deutschlandweit populär. Ein Mythos, der bis heute nachhallt, wenngleich deutlich abgeschwächt.

Wer oder was der Mann aber auch immer gewesen sein mag, ob historische Figur oder biblischer Erlöser oder gar eine Kombination aus mehreren Lichtgestalten - der Faszination dieses rätselhaften mittelalterlichen Meisterwerks kann man schlicht nicht widerstehen. Dazu passt auch ganz gut, dass er sich im schummrigen Mix aus trübem Tageslicht und spärlich beleuchtetem Dom einer allzu intensiven Betrachtung durch Rückzug in den Schatten quasi zu entziehen scheint. Ganz so, als wollte er sagen: »Ihr werdet mich niemals zur Gänze entschlüsseln.«

Infos

Bamberg Tourismus: www.bamberg.info

Führungen:

Die Touristeninformation bietet eine Vielzahl an Führungen für Einzelreisende und Gruppen an. www.bamberg.info/fuehrungen

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