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American Football und der Viehmarkt der Träume

Vor dem Super Bowl ist Senior Bowl: Leistungsdruck und Rassismus im US-Collegesport

  • Moritz Ablinger, Mobile
  • Lesedauer: 6 Min.

Es sind Szenen wie auf dem Viehmarkt. Ein Name wird ausgerufen und ein junger Mann, nur in Sporthosen bekleidet, betritt die Bühne. Er wird gewogen und seine Größe gemessen. Die Stimme im Lautsprecher verkündet die Ergebnisse, dann ruft sie den nächsten Namen auf die Bühne. 103 Mal wiederholt sich das Schauspiel, das sich gute zwei Stunden hinzieht. Im Publikum sitzen neben JournalistInnen und FotografInnen auch VertreterInnen aller 32 Teams der NFL, der US-amerikanischen Footballprofiliga. Es ist das National Scouting Football Weigh-In, es bildet den Auftakt zur Senior Bowl Week in der letzten Januarwoche in Mobile, an der Golfküste Alabamas.

»Früher war das hier nur ein Spiel von guten Collegespielern gegeneinander, heute sind wir ein Fixpunkt im Kalender eines jeden NFL-Teams«, sagt Phil Savage, der seit 2012 Direktor des Senior Bowls ist. Es ist weit mehr geworden als ein Spiel. Die Ausweitung des Senior Bowls zu einem fünftägigen Event, das landesweit im Fernsehen ausgestrahlt wird, spiegelt eine stete Entwicklung im American Football wider. Der Draft, bei dem die NFL-Teams in sieben Runden die besten Collegespieler zieht, ist zu einem Spektakel geworden. Ein Spektakel, bei dem die Lebensrealitäten der Spieler oft in Vergessenheit geraten. Wer den Sprung in die NFL nicht schafft, steht nach einer langen Footballkarriere mit leeren Händen da.

Nur drei Stunden nach dem Wiegen betreten die ersten Spieler das Ladd-Peebles-Stadion. Auch hier sind sie nicht allein. Über das Spielfeld schwirren zwei Kamerateams, die bemüht sind, das Geschehen so gut wie möglich einzufangen. NFL-Network, der TV-Sender der NFL, berichtet phasenweise live von den Trainingseinheiten. Auf den Rängen unmittelbar am Feld tummeln sich JournalistInnen. Von kleinen Internetblogs bis zu renommierten Tageszeitungen, knapp 150 MedienvertreterInnen sind gekommen, um vom Senior Bowl zu berichten. »Die Spieler müssen sich eine Woche wie echte Profis verhalten«, sagt Savage. »Sie sollen wissen, wie es in der NFL wird.«

Die NFL, das ist das Ziel aller Spieler, die beim Senior Bowl auflaufen. Beim Draft Ende April ziehen die 32 Profiteams Talente aus dem College. Es beginnt das schlechteste Team der Vorsaison, als Letzter ist der Sieger der Super Bowl dran. Dieser Ablauf wiederholt sich sieben Runden lang. Je besser ein Spieler eingeschätzt wird, desto früher wird er gezogen. Im Laufe des dreitägigen Drafts verkleinert sich so der Talentpool immer weiter. »Für die NFL-Teams steht beim Draft viel auf dem Spiel«, sagt Savage. »Wenn sie die falschen Spieler ziehen, kann man die Saison eigentlich schon vor Beginn abschreiben«. Der Senior Bowl dient den Teams so zur Evaluierung der Collegespieler. Zwar verfolgen die Scouts die Talente schon an ihren Colleges, beim Senior Bowl haben sie aber das erste Mal mehrtägigen Kontakt mit ihnen. Minutiös führen sie Buch über Stärken und Schwächen der Spieler. Sieht man den Scouts am Rande des Trainingsfelds über die Schulter, entdeckt man Excellisten, die kein Ende nehmen.

Was auf den ersten Blick lediglich nach den bizarren Auswüchsen einer professionalisierten Sportindustrie wirkt, hat für die Spieler gravierende Konsequenzen. Denn wer als Footballspieler in den USA Geld verdienen will, muss das in der NFL tun. »Es gibt schon auch andere Ligen, aber ein vernünftiges Gehalt gibt es eben nur in der NFL«, sagt Bomani Jones, der beim Sportsender ESPN eine Talkshow moderiert. Die Leistungen beim Training vor der Senior Bowl werden ausführlich auf sozialen Netzwerken und in den Medien diskutiert. Macht ein Spieler beim Weigh-In keine gute Figur, kann das Folgen haben, ob und wann er gedraftet wird. »Das klingt absurd«, sagt Jones. »Aber für viele dieser Jungs steht ihre finanzielle Zukunft auf dem Spiel.« Denn je früher ein Spieler gedraftet wird, desto höher dotiert ist sein Vertrag. Jameis Winston, der 2015 als erster Spieler gezogen wurde, erhielt 25 Millionen US-Dollar und einen Vertrag bis 2020. Ab der dritten Runde belaufen sich die Gehälter auf zirka 2,5 Millionen US-Dollar über vier Jahre, von denen allerdings der Großteil Prämien sind. Wer nicht im Draft ausgewählt wird, kann zwar trotzdem unter Vertrag genommen werden. Sollten die Leistungen aber nicht stimmen, können sie schon nach wenigen Monaten wieder entlassen werden - auch ohne finanzielle Entschädigung.

So ein Schicksal steht O.J. Howard nicht bevor. Howard spielte als Tight End für die University of Alabama, die eines der erfolgreichsten Footballteams des Landes stellt und ist bei den Scouts und Medien hoch im Kurs. Der Rummel um den Senior Bowl hat ihn nicht beeindruckt. »Es war eigentlich alles wie immer«, sagt Howard nach dem Spiel am Samstag. »Bei unseren Partien war immer die Hölle los.« 102 000 Zuschauer kommen durchschnittlich zu den Heimspielen der Crimson Tide, wie die Sportteams der Universität genannt werden. Die Partien laufen zusätzlich live im Fernsehen. Über 100 Millionen US-Dollar an Umsatz erwirtschaftete alleine das Footballprogramm der Uni im Jahr 2016. »Collegefootball hat ja auch unglaubliche Dimensionen«, sagt Howard. »Aber die Möglichkeit Profi zu werden, muss ich natürlich nutzen.«

Denn bisher durfte Howard kein Geld verdienen, der Collegesport ist ein Amateurbetrieb. »Die Realität abbilden tut dieses Wort aber nicht«, sagt Bomani Jones. »An den großen Colleges trainieren die Mannschaften wie echte Profiteams, aber die Spieler kriegen dafür keinen Cent.« Zwar erhalten die allermeisten Spieler Stipendien von ihren Unis, der Fokus liegt aber nicht im akademischen Bereich. Zwei Mal am Tag trainieren die Uniathleten während des Semesters, zwischen September und Dezember steht jeden Samstag ein Spiel an. Das Geld, das die Sportprogramme einnehmen, wird oft auch in die Umkleidekabinen und die Unterkünfte der Spieler investiert. Whirlpools und Flachbildfernseher sind dort keine Ausnahme. »Die großen Colleges sind da auch in einem Wettbewerb miteinander«, sagt Jones. »Wer die modernsten Anlagen hat, dem werden die talentierten Spieler zufliegen.«

Dennoch weigert sich die NCAA, der Verband des US-amerikanischen Collegesports, beharrlich eine finanzielle Vergütung für Spieler auch nur zu diskutieren. Jones vermutet dahinter auch rassistische Motive und Strukturen. »Um das einmal deutlich zu machen: Die Spieler, die überwiegend schwarz sind, setzen jede Woche ihre Gesundheit aufs Spiel und werden nicht bezahlt«, sagt Jones. »Die Coaches und die Verbandschefs, die überwiegend weiß sind, kassieren Millionen.« Während Afroamerikaner über die Hälfte der Spieler ausmachen, sind nur knapp 12 Prozent der Trainer schwarz. Ihre Gehälter können sich sehen lassen: Nick Saban, Trainer der Crimson Tide, verdiente im Jahr 2015 knappe acht Millionen US-Dollar. Dabo Swinney, Coach der Universität von Clemson, die sich im Januar zum Collegefootballmeister der abgelaufenen Saison krönte, bezog knappe sechs Millionen US-Dollar. »Aber du bist als Spieler trotzdem auf den Collegesport angewiesen«, sagt Jones. »Nur dort werden NFL-Teams auf dich aufmerksam.«

Die NFL bietet so einigen wenigen Spielern die Möglichkeit ähnliche oder sogar höhere Gehälter zu beziehen. Sie bleibt allerdings einer kleinen Minderheit vorenthalten. Vor allem in den Südstaaten spielen Hunderttausende Kinder und Jugendliche Football in der Hoffnung, einmal das große Geld zu machen. Die jungen Sportler und ihre Eltern wählen die Highschool schon oft danach aus, wie gut ihr Footballteam ist. Für die allermeisten von ihnen wird sich aber der Traum nicht erfüllen. Lediglich 0,08 Prozent jener Schüler, die in der Highschool Football spielen, landen in der NFL. Von den Collegespielern sind es gerade einmal 1,7 Prozent. Den Rest sieben die knallharten Selektionskriterien der NFL aus. Selbst jene, die es in die Liga schaffen, bleiben dort im Schnitt nur gute drei Jahre. »Nur für die Allerwenigsten erfüllt sich der Traum vom Millionenvertrag«, sagt Bomani Jones. »Der Rest hat am Ende nichts davon, jahrelang wie besessen trainiert und Erniedrigung nach Erniedrigung ausgehalten zu haben.« In Sporthosen auf einer Bühne gemessen und gewogen zu werden, ist davon nur ein kleiner Teil.

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