Hartnäckige Anwälte

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Entschlossen wirkte Richter Philipp Moog nur zu Beginn der Verhandlung. »Alle, die sitzen geblieben sind, bekommen eine erste Verwarnung«, sagte er am Donnerstagmorgen an die rund 30 Zuschauer gewandt. »Bei einer weiteren Störung fliegen Sie raus«.

Eine knappe Stunde später, nachdem sich anbahnte, dass die Verhandlung länger dauern könnte, sinnierte der Jurist über Möglichkeiten, den kaum begonnenen Strafprozess am Göttinger Amtsgericht gegen drei Abschiebegegner - zwei Frauen und ein Mann - wegen Widerstandes und Körperverletzung auszusetzen. Er selbst habe die Verhandlung eigentlich gar nicht leiten sollen und sich nur ganz kurzfristig in den Fall einarbeiten können, sagte Moog.

Zuvor hatten die Verteidiger der Angeklagten angekündigt, sie würden jeden einzelnen der als Zeugen geladenen Polizeibeamten ausführlich vernehmen: »Jeden mindestens eine Stunde«, so Rechtsanwalt Sven Adam. Es bestehe nämlich der Verdacht, dass die Ordnungshüter am fraglichen Tag selbst Straftaten begangen haben könnten.

An diesem Tag, dem 10. April 2014, hatten rund 50 Aktivisten den Eingang und Flur eines Hauses in der Göttinger Weststadt blockiert, um die Abschiebung eines somalischen Flüchtlings zu verhindern. Um die Blockade zu brechen, habe die wegen ruppiger Einsätze ohnehin in der Kritik stehende Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Göttinger Bereitschaftspolizei die Situation eskalieren lassen, berichteten Augenzeugen.

Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschläge, Schmerzgriffe, Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspray im geschlossenen Treppenhaus verletzt worden. »Die BFE drang nicht nur durch eine Parterrewohnung in das Haus ein, sondern sie schleppte auch Dutzende zum Teil verletzte und bewusstlose Menschen durch das Fenster des Kinderzimmers hinaus, indem sich sowohl Mutter als auch Kind zu dieser Zeit befanden«, erklärte die »Rote Hilfe«.

Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als »beängstigend und vollkommen skrupellos«. Protestierende Menschen, die sich untergehakt hatten, seien »geschubst, geschlagen, mit Schmerzgriffen traktiert und in mehreren Fällen die Kellertreppe heruntergeworfen« worden.

Die Polizei bewertete die Ereignisse anders: Einige Blockierer hätten sich der Räumung »massiv widersetzt«, die Beamten hätten daraufhin auch Pfefferspray eingesetzt. Vier Polizisten seien bei dem Einsatz verletzt worden, ein Beamter vorübergehend dienstunfähig gewesen.

Zwei der in dem nun unterbrochenen Prozess Beschuldigten sollen sich der Räumung der Blockade widersetzt, Beamte in die Hand gebissen und in einem Fall auch geschlagen haben, las die Staatsanwältin aus der Anklageschrift vor. Die andere Frau wird beschuldigt, einem Polizisten im Getümmel den Armschutz aus Plastik abgerissen zu haben. Zudem soll die 60-Jährige laut Anklage zu anderer Zeit mehrere Sachbeschädigungen begangen haben.

Wann der Prozess weitergeht, war am Freitag noch nicht bekannt. Klar ist aber: Sofern es nicht neue Turbulenzen im Dienstplan gibt, wird Richter Moog dann nicht mehr den Vorsitz führen.

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