nd-aktuell.de / 14.02.2017 / Politik / Seite 8

Italien kann der Jugend keine Zukunft bieten

In dem südeuropäischen Land liegt die Arbeitslosigkeit der Unter-25-Jährigen bei über 40 Prozent / Erschütterung nach Suizid eines Betroffenen

Anna Maldini, Rom

Über 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Italien - Tendenz steigend! Das sagt die Statistik. Das ist erschütternd. Noch erschütternder sind die Einzelschicksale, die hinter dieser Zahl stecken. Vor wenigen Tagen ging die Nachricht von einem Suizid durch die Presse: Der 30-jährige Michele aus dem wohlhabenden Nordosten des Landes hat sich das Leben genommen und im Abschiedsbrief seine soziale Situation als Ursache für diese extreme Handlung genannt.

Wie so viele junge ItalienerInnen hat auch Michele trotz einer guten Ausbildung nie einen festen Arbeitsplatz bekommen und sich sein kurzes Leben lang von einem Minijob zum nächsten, von einer gering bezahlten Gelegenheitsarbeit zur nächsten befristeten Arbeitsstelle durchgeschlagen. An eine eigenständige Zukunft war nicht zu denken, alles ist prekär.

Vielleicht noch stärker als die Jugendlichen bis 24 Jahre, sind die nächsten Altersgruppen von 25 bis 34 und von 35 bis 44 von der miserablen Lage auf dem italienischen Arbeitsmarkt betroffen. Die meisten Menschen in diesen Gruppen gehen zwar immer mal wieder einer bezahlten Arbeit nach, haben aber keine gesicherte Zukunft.

So zum Beispiel der 29-jährige Marco, der jetzt in einem kleinen Bauernhaus - kaum mehr als eine Gartenlaube - in Umbrien lebt und sich dort mehr oder weniger selbst versorgt. Gerade weil er gehofft hatte, so schneller auf eigenen Beinen stehen zu können, hat er nach dem Abitur nicht studiert, sondern die Hotelfachschule besucht. Zwei Jahre arbeitete er in einem Hotel in Rom, konnte sich aber von seinem Gehalt nie eine menschenwürdige Unterkunft leisten. So wohnte er weiter in seinem Elternhaus und fuhr jeden Tag zwei Stunden zur Arbeit und zwei wieder zurück. Das wurde bei seiner unregelmäßigen Arbeitszeit und den unzuverlässigen Pendlerzügen immer mehr zur Qual. Danach jobbte er noch einige Mal bei der Post oder als Urlaubsvertretung in einer Pension.

Dieses Leben hielt er nicht mehr aus und zog irgendwann in die Laube seines verstorbenen Großvaters, wo er jetzt Zucchini und Tomaten anbaut und etwas Öl produziert. Würde seine Mutter ihn nicht unterstützen, könnte er möglicherweise schlicht verhungern. Marco hat resigniert, bewirbt sich kaum noch und vereinsamt.

Für Fulvio, der 38 Jahre alt ist, kommt Resignation nicht in Frage. Er hat in Rom Politik studiert und ist seit Schülerzeiten in ultralinken Gruppen aktiv. Jahrelang lebte er in besetzten Häusern, wodurch seine monatlichen Ausgaben natürlich beachtlich gesenkt wurden.

Etwas »Besseres« hätte er sich aber auch nicht leisten können: Fulvio arbeitete als Kofferträger in einem Hotel, auf dem Großmarkt, als Kellner in einer Kneipe. Einige Jahre war er bei einer Umweltorganisation angestellt, wo er bis zu zehn Stunden täglich arbeitete, aber offiziell nur einen Halbtagsjob hatte, für den er 800 Euro monatlich bekam. Doch irgendwann musste die Organisation wegen Geldmangel schließen.

Derzeit wohnt Fulvio mit seiner Lebensgefährtin und der fünfjährigen Tochter in einer Sozialwohnung und arbeitet als Wärter im Kolosseum - sein Vertrag läuft noch bis Mai. Was dann wird, kann niemand sagen. Nicht nur er, sondern auch seine Eltern, die inzwischen in Rente sind, haben vielen schlaflose Nächte, wenn sie an die Zukunft des jungen Mannes und seiner Familie denken.

Mit seiner »ultraliberalen« Arbeitsmarktpolitik hat der junge ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi die prekäre Situation seiner Altersgenossen möglicherweise noch verschlechtert. Scheinselbstständigkeit und endlose Ausbildungsverträge mit geringer Bezahlung sind an der Tagesordnung.

Häufig fragt man sich, wie lange ein Land, in dem ganze Generationen keine stabile Zukunft haben, als Demokratie überleben kann. Wenige Tage nach dem Selbstmord von Michele stand auf einer Mauer in seinem Heimatort zu lesen: »Für Michele und unsere Generation ist die einzige Sicherheit der Hass und die einzige Garantie unsere Rache. Das Prekariat bringt uns um! Die Regierungen, die uns unser Glück stehlen, sind Mörder!«