Leben? Verschleißen!

Im Wettbewerb: »Beuys« von Andres Veiel

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Von Gunnar Decker

Es gibt Szenen von und mit Joseph Beuys, die haben etwas Irritierendes. Etwa jene, wie er sich auf einer documenta in Kassel in den 70er Jahren einen Behälter mit weißen Flocken über den Kopf kippt. Ein anderes Mal gießt jemand eine Kanne mit Wasser über ihm aus. Danach gab’s Beifall für die Aktion, die das, was man gemeinhin für Kunst hält (ein Werk!), gründlich verabschiedet.

Reden wir gar nicht über seine berühmt-berüchtigte »Fettecke« oder die »Honigpumpe« - letztere hat Andres Veiel, den Regisseur dieses Dokumentarfilms über Joseph Beuys, als Jugendlichen stark beeindruckt. Auf sehr spezielle Weise. Er kam aus der tiefsten westdeutschen Provinz nach Kassel, diese, nun ja, halbprovinzielle Kunstmetropole der alten Bundesrepublik, und war erstaunt. Wer bei ihm zu Hause mit Fett und Honig herumschmieren und das Ganze noch dazu Kunst nennen würde, der bekäme schnell einen feuchten Scheuerlappen um die Ohren gehauen. Ein antiautoritärer Akt der Befreiung war es also schon mal. Andere schüttelten damals den Kopf und tun es heute vermutlich immer noch: So wenig meisterlich, so unfeierlich sah man die Kunst selten.

Beuys: ein Verfallssymptom? So meinten die Hüter akademischer Normen. Aber andere Sichten liegen näher. Ich denke an einen anderen Störer des falschen Friedens, der fast achthundert Jahre früher als Beuys lebte, aber seltsamerweise etwas ganz Ähnliches tat: Franz von Assisi. Er entschied sich für einfache, aber provozierende Handlungen, wo man von ihm viele wohlgesetzte Worte erwartete. Ein Symbol aber bedarf keiner handwerklichen Meisterschaft der Ausführung, es muss nur eines: den Nerv der Zeit treffen. Die Performance erfand bereits der Mann aus Assisi. Als man von ihm eine Predigt über die Demut hören wollte, stellte er sich vor seine Zuhörer, nahm einen Krug mit Asche und schüttete ihn über sich aus. Kein Wort sagte er und ging nach dieser »Aktion« von der »Bühne« ab, die Zuschauer verblüfft zurücklassend. Nicht sehr originell, aber wirkungsvoll. Mehrmals in seinem Leben zog er sich aus Protest nackt aus - das Beispiel machte Schule, bis heute.

Womit gesagt ist, so ganz neu sind die Protestaktionen nicht, derer sich die Achtundsechziger im westdeutschen Wohlstandsbiedermeier bedienten. Joseph Beuys als ihre Ikone beteten sie geradezu an.

Veiel macht nun etwas wenig Spektakuläres, aber für jeden Biographen durchaus Richtiges. Er zeigt uns die Lebensstationen von Beuys und lässt ihn dabei so viel wie möglich selber sprechen. Fast handelt es sich hier um eine Collage aus Originalfilmmaterial verschiedenster Zeiten, nur ab und zu (wohltuend selten) wird dieser große Bilderteppich aufgebrochen mit Kommentaren über ihn.

Und da zeigt sich aus dem historisch gewordenen Abstand (Beuys starb 1986), was jenseits der grellen Aktionen von ihm und der Schlagzeilen über ihn dennoch geblieben ist: ein widerständiges Prinzip, das sich dem Zwang zum Konsens entzieht, jedes falsche Ganze sabotiert. Beuys Haltung zu sich und der Welt ist eine antiideologische, er schärft die Sinne und weckt die Skepsis. Die Dinge, die uns so selbstverständlich sind, könnten auch etwas ganz anderes, sogar das Gegenteil von dem sein, was sie vorgeben zu sein. Ein sich als Demokrat feiern lassender Politiker kann in Wahrheit ein totalitärer Geist sein, ein Nazi, der dem Machtwahn verfallen ist und machtlose Menschen bloß als Material benutzt. Alles ist möglich, finde es heraus, bilde dir selbst ein Urteil von der Welt und den Menschen. Der Einzelne, wenn er frei sein will, ist ein Anarchist, nie ein Gefolgsmann von was auch immer. 1982 gipfelt diese Haltung von Beuys in dem sehr agitatorisch-kämpferischen Slogan: »Lieber Sonne statt Reagan.« Das ist gut, das hat etwas von John Heartfield.

Das war die Zeit, da sich Beuys direkt in die Gründung der Grünen einmischte - bis man ihn auch dort (das scheint das Gesetz von Parteien zu sein) ausbootete. In den Bundestag wollten Schily und Vollmer den schrillen Aktionskunststar nicht mitnehmen. Er hatte seine Schuldigkeit getan.

Außergewöhnlich ist die Entscheidung, Veiels »Beuys«-Dokumentarfilm im Berlinale-Wettbewerb laufen zu lassen auf jeden Fall. Aber es ist eine gute Entscheidung, weil sie sich den Grundfragen des Schöpferischen zuwendet. Wie wird man zu dem, der man schließlich ist? Ein nachdenkliches Porträt über einen ebenso nachdenklichen Menschen. Dass er sich auch kämpferisch oder auf lustvolle Weise unterhaltsam geben konnte, häufiger als vermutet lachte (auch über sich selbst), nimmt von dieser Nachdenklichkeit nichts fort. An Beuys, das war eine mich unerwartet treffende Beobachtung, ist nichts bloßer Augenblickseinfall, nichts effektvolles Spiel mit Oberflächen. Dieser Mensch arbeitete sich mit bitterem Ernst an dem falschen Schein von Wirklichkeit ab. Auch deshalb sprach er wohl so häufig von der Macht der Ökonomie, die man überwinden müsse, dem Fetisch der Ware und dem Geld, das die falsche Ordnung der Dinge zementiere. Was er wollte: auch diese Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Die frühen Freunde sagen es Veiel in die Kamera: Beuys lebte aus einer Wunde heraus. Er wusste sich als Außenseiter jeder Gesellschaft, er war wie gestorben und auferstanden. Wer seine Kriegserfahrungen und die Wüste der Nachkriegszeit nicht ernst nimmt, wird das nicht verstehen. Als Flieger stürzt er 1944 während eines Blindflugs über der Krim ab, überlebt schwer verletzt und ist zwei Wochen bewusstlos. Später wird er behaupten, Tataren hätten ihn gefunden und in Fett eingerieben gerettet. Pure Legende, so sagen seine Kritiker. Beuys habe sich viel ausgedacht, besonders Übelmeinende nennen das sogar »Lügen«. Seine manifest-ähnlichen Positionierungen sind für sie inhaltsleere Rhetorik. Aber das ist falsch.

Beuys hat selbst von seinen Fieberträumen gesprochen, die in der Zeit der Kriegsverletzungen eingesetzt hätten und wohl nie mehr aufhörten. Man habe ihn damals nicht nur vom Himmel geschossen, sondern ihn auch »zerschossen«. Was seine Rettung war, die Chance, ein Anderer zu werden. Unmittelbar nach dem Krieg beginnt er sein Kunststudium, aber dann passiert viele Jahre lang nichts. Er hat keinerlei Erfolg, fühlt sich bereits ganz und gar am Ende, wird schwer depressiv. Einige eindrucksvolle Blätter aus dieser Zeit bezeugen das.

Und dann rettet ihn Ende der 50er doch wieder etwas: das Fett, das ihn - sei es real oder geträumt - bereits einmal als abgeschossenen Piloten rettete. Seine Provokationen des Kunstbetriebs waren ganz in Fett, ein unangenehm flüssiges Medium, getaucht. Das war zum schnellen Verbrauch bestimmt. Kunst ist Lebensmittel - und jeder ist Künstler, so Beuys. Ein wichtiger Anspruch, damals Ende der 50er Jahre im Wirtschaftswunderland BRD, auch ein Tabubruch.

Was wurde dann daraus? Was offenbar mit jeder Revolution passiert, sie mündet in die Restauration. Provokation wurde zur Ware und auf die pointierten Slogans stürzte sich sofort die Werbung. Ein neuer Markt entstand, der mit Aufmerksamkeit handelte. In dieser unserer Zeit der Selbstdarsteller, die niemals auf den Gedanken kommen würden, nicht jeder sei zum Künstler berufen, muss man sich das kriegsbeschädigte Gesicht von Joseph Beuys wieder vor Augen führen: seine Wut auf die bloß simulierte Provokation und alles bloß Beliebige.

Wenn sich die Lebenswunde nicht schließt, dann hilft nur eins: sich verschleißen im Kampf um die eigene Form gegen eine feindliche Außenwelt.

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