Angst vor Gräueltaten in kurdischem Dorf

Gerüchte über Kriegsverbrechen verbreiten sich / Verhaltene Proteste auch in deutschen Städten

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit dem 11. Februar steht das Dorf Kuruköy bei Nusaybin in der türkisch-syrischen Grenzregion unter einer Ausgangssperre, die im Zuge einer Militäroperation gegen die kurdische PKK in der Region verhängt wurde. Seitdem ist Kuruköy vom Militär abgeriegelt, die Dorfbevölkerung darf ihre Häuser nicht verlassen, Strom- und Telefonleitungen sind gekappt. Versuche, von kurdischer Seite nach Kuruköy zu gelangen, wurden vereitelt. So wurde etwa Ziya Pir, Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP), am 20. Februar, 15 Kilometer vor der Ortschaft von türkischen Sicherheitskräften aufgehalten.

Während zuverlässige Informationen nicht verfügbar sind und unabhängige Beobachter die Lage vor Ort nicht einsehen können, kursieren im Internet Fotos und Videoaufnahmen, die angeblich zeigen, wie türkische Soldaten in Kuruköy Zivilisten foltern und ermorden. Die Aufnahmen sollen von den türkischen Sicherheitskräften selbst erstellt und veröffentlicht worden sein. Bestätigen lässt sich dies nicht - aber auch nicht dementieren.

Die Befürchtungen der Kurden, dass in Kuruköy tatsächlich Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen werden, lassen sich auch deswegen nicht allzu schnell abweisen, weil ähnliche Fälle aus den letzten 20 Monaten dieses blutigen Krieges in den kurdischen Gebieten der Türkei bekannt sind. Erinnert sei etwa an die Tötung von mindestens 170 kurdischen Zivilisten in der Kleinstadt Cizre im Februar 2016 durch die türkische Polizei und Armee.

Die Empörung und die Wut gegen das mögliche Kriegsverbrechen in Kuruköy wächst indes nicht nur in der Türkei, sondern auch im Ausland. Wie bereits bei dem Cizre-Massaker mobilisieren kurdische Verbände wie etwa NAV-DEM in Deutschland zu Protesten in zahlreichen Städten, so etwa am Mittwoch am Brandenburger Tor in Berlin. Allerdings ist die Teilnehmerzahl an solchen Aktionen in den letzten anderthalb Jahren kontinuierlich gesunken.

Ohnehin erleben die kurdischen Verbände in Deutschland zunehmend ein ähnliches Problem wie die zivilen kurdischen Akteure in der Türkei. Angesichts der Haltung der türkischen Regierung - ohne jeden Willen zum Frieden auf Krieg zu setzen, weil die AKP-Regierung politisch von diesem Krieg profitiert - stoßen die kurdischen Appelle für eine Rückkehr zu den Friedensverhandlungen nicht nur weitgehend auf taube Ohren, sondern selbst der Ruf nach Frieden wird bereits als »Terrorunterstützung« bewertet.

Dies mussten etwa die Unterzeichner des Aufrufs »Akademiker für den Frieden« erfahren, die ihre Jobs in den Hochschulen verloren haben und wegen »Terrorismus« angeklagt werden. Versuche der HDP-Abgeordneten durch ihre Präsenz die Übergriffe des türkischen Militärs auf die Zivilbevölkerung einzudämmen, haben dazu geführt dass die Abgeordneten selbst ins Visier geraten sind. Mehr und mehr festigt sich insbesondere bei der jungen kurdischen Generation der Eindruck, dass eine zivile Opposition gegen die AKP-Regierung nicht möglich ist und ihnen so nur die Wahl zwischen Unterordnung und dem bewaffneten Widerstand bleibt. Diese Entwicklung führte dazu, dass etwa die HDP mit ihrem zivilen und parlamentarischen Ansatz viel Unterstützung verloren hat.

Auch in Deutschland stellen viele Kurden infrage, welchen Sinn Öffentlichkeitskampagnen und Protestaktionen gegen den Krieg in der Türkei machen, wenn die deutsche Öffentlichkeit keine allzu große Anteilnahme am Schicksal der Kurden zeigt und die deutsche Bundesregierung weiterhin eng mit der AKP-Regierung kooperiert.

Diese Zurückhaltung gegenüber den Aktivitäten der kurdischen Verbände wird zusätzlich dadurch gestärkt, dass es in Deutschland wegen des PKK-Verbots eine besondere Situation gibt. Die Teilnahme an solchen Aktivitäten wird nämlich durchaus als vermeintliches Indiz für eine PKK-Nähe ausgelegt. Seit dem Verbot der Organisation im Jahr 1993 sind viele Gerichtsprozesse in Deutschland bekannt, in denen die Teilnahme an legalen Demonstrationen oder der Besuch von zugelassenen kurdischen Vereinen als Indiz oder Beweis für eine Mitgliedschaft in der PKK verstanden worden sind. Insofern hat das PKK-Verbot in Deutschland eine besondere Auswirkung: Es behindert den Protest von Kurden gegen die politische Lage in der Türkei und gegen den Krieg in den kurdischen Gebieten.

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